Drei Tage in den Alpen
Dienstag, 13.9.2022
Von der Österreichisch-Schweizer Grenze bis zum Solis-Viadukt der Rhätischen Bahn
Auf der Rheintal-Autobahn geht es zügig und dennoch sehr gesittet zu. Kein Vergleich mit der Fahrweise auf den Autobahnen in Deutschland. Ob das daran liegt, dass die erlaubte Geschwindigkeit auf Schweizer Autobahnen lediglich 120 km/h beträgt? Ist man 31 bis 34 km/h schneller, gibt es neben einer Geldstrafe eine Anzeige und mindestens 1 Monat Fahrverbot, fährt man schneller als 155 km/h kann der „Lappen“ für mindestens 3 Monate weg sein. Solche Regelungen würde ich mir in Deutschland auch wünschen.
Nach knapp 30 km machen wir an der Raststätte Rheintal West eine kleine Pause.
- Raststätte Rheintal West
- Nach einer kurzen Erfrischung geht´s weiter
Ohne auch nur den kleinsten Stau (wenn ich da an unsere Fahrt im Mai denke), geht es an Liechtenstein vorbei, an Bad Ragaz und am Sarganser Land, wo die A13 in die A3 übergeht. Im Gegensatz zu der Fahrt am 26. Mai ist heute alles total easy. Wir sehen die Raststätte Heidiland wieder, Chur, die katholische Kirche Sogn Glon in Domat und, und, und. Alles sehr vertraut.
Bei Thusis Süd verlassen wir die A 13 und fahren in eine Region, in der wir bisher noch nie waren. Dazu geht´s zunächst mal durch den 1,6 km langen Sils-Tunnel und dann immer an der Albula entlang, die links von uns liegt, Richtung Osten.
Wälder, Berge, ab und an mal ein Tunnel, es ist einfach herrlich. So stelle ich mir Schweiz vor, so stelle ich mir Urlaub vor. Hinter dem dritten Tunnel (dem 1,1, km langen Solis-Tunnel) sind es dann nur noch 400 m bis zu einem Schild P-Solisbrücke. Hier verlassen wir die 417. Wir haben unseren ersten planmäßig größeren Stopp erreicht.
Am Soliser Viadukt
Im Jahre 1902 erstellte der damals 33-jährige Zimmermeister und Gerüstbauer (kein Ingenieur!) Risch (Richard) Coray das hölzerne Traggerüst der Brücke, mithilfe dessen der Schweizer Ingenieur Hans Studer aus Kieselkalkstein das eigentliche Viadukt erstellen konnte.
Ganz neu bei der Berechnung der Brücken-Statik wurde damals die von Wilhelm Ritter entworfene Elastizitätstheorie angewandt.
Das Solis-Viadukt der Rhätischen Bahn gehört zum UNESCO-Welterbe. Es liegt in der Landschaft Albula/Bernina. Mit 42 m Spannweite im Hauptbogen und den zehn Nebenbögen ist es eines der größten Viadukte der gesamten Albula-Linie. Am Grunde der Schin-Schlucht, 85 m tiefer, fließt die Albula, die der Strecke und der Region ihren Namen gab.
Es ist kurz vor halb eins. Wenn meine Planungen stimmen, müsste etwa 20 Minuten vor der vollen Stunde ein Zug von links nach rechts fahren. Wir haben es also richtig gut geschafft, nur 10 Minuten warten.
12:45 Uhr ist vorbei und kein Zug kommt. Das mit der Planung war wohl nichts. Trotzdem, das Warten fällt leicht. Die Kamera ist auf „Serienaufnahme“ gestellt und liegt griffbereit neben mir auf der Steinmauer. Gleich daneben liegt unser „Mittagessen“, das wir uns – die Preise in den Lokalen sind seit Corona ja explodiert – von zu Hause mitgenommen haben. Hackfleischküchle, Gurkenscheiben und frische Tomaten.
- Mit Picknick fällt das Warten leicht
- Unser Picknick-Essen
- Der Zug kommt
- Mit Luxus-Speisewagen, besser geht´s nicht
Obwohl wir am Solis-Viadukt sind, heißt die daneben liegende Gaststätte Solis-Brücke. Hier kann man – heute ist der 13. September und es hat um die 25°C – gut im Freien sitzen, in aller Ruhe unsere Tagebucheinträge machen und dazu einen Cappuccino oder einen Latte Macchiato schlürfen. Vielleicht gibt´s für Susanne ja auch noch eine Nuss-Ecke oder etwas Ähnliches.
- Restaurant Solis-Brücke
- Cappuccino, Latte Macchiato und Linzer Torte
Jetzt, wo wir etwas Zeit haben, kann ich mich auch dem „blauen Wagen“ im Zug widmen. Dass der etwas Besonderes war, war mir schon klar, als der Zug über das Viadukt fuhr.
In den Jahren 1929 und 1930 beschaffte die Mitropa drei als Dr4ü 10-12 bezeichnete Speisewagen für den Einsatz in den Luxuszügen der Rhätischen Bahn. Und wenn ich mir so meine Bilder ansehe, hatten wir riesiges Glück. Denn nur der 11:58 Uhr in Chur eingesetzte „1139 Chur -St. Moritz“ führt den mondänen Nostalgie-Speisewagen mit den 34 Plätzen. Welcher der drei Wagen in „unserem“ Zug eingestellt ist, kann ich allerdings nicht sagen.
Zu den Höhepunkten einer jeden Rhätischen-Bahn-Reise zählt zweifellos eine Fahrt in einem der mondänen Speisewagen. Mindestens 629 €/Person kostet die 3-Tages-Fahrt, bei der auch das 3-Gänge-Menü im Gourmino-Speisewagen eingeschlossen ist.
Auch wenn wir nicht im Speisewagen sitzen, sind wir doch in der Schweiz – und hier sind die Preise gesalzen: Cappuccino, Latte Macchiato und ein Stück Linzer Torte (ich mag ja nichts Süßes) 15 €. Aber nicht nur Kaffee und Kuchen sind teuer, auch die Klo-Benutzung. Für Nicht-Gäste verlangen die Wirtsleute des Solis-Brücken-Restaurants satte 2 €. Okay, man gönnt sich ja sonst nichts und wer weiß, ob man bei der derzeitigen Inflation nächstes Jahr überhaupt noch was um 15 € bekommt.
- Das Solis-Viadukt
- Wappen am Solis-Viadukt
Um Viertel zwei fahren wir weiter. Unsere nächsten Ziele sind die Burg Belfort und das Landwasserviadukt.
- Im Alvaschein-Tunnel
- Ausfahrt des Alvaschein-Tunnels
Bereits nach 1 km verschwinden wir im 927 m langen Alvaschein-Tunnel und kurze Zeit danach sind wir in Surava.
- Kurz vor Surava
- Surava
Mist, jetzt haben wir den Abzweig links auf die Route 3 nach Brienz verpasst und somit auch die Burgruine Belfort, die rund einen ¾ km Luftlinie weiter nördlich liegt.
Bis Filisur – dort muss irgendwo das Landwasserviadukt sein – sind es nur noch zehn Minuten.
Landwasserviadukt
Das Navi führt uns über Albula Straße, Las Sorts, Dorf- und Bahnhofsstraße zum Bahnhof Filisur, wo sowohl der Glacier- als auch der Bernina-Express verkehren sollen. Wir fahren am Bahnhof weiter bis nach Begl, wo Susanne meint, dass es da wohl nicht mehr weitergeht.
Zugegeben, richtig üppig ist der Weg hier nicht mehr. Also fragen wir einen Passanten, der ebenfalls kamerabewaffnet an der Bahnstrecke steht.
Obwohl wir über die Wege von Begl und Cularegna – recht matschig zwar – auch genau dorthin gekommen wären, wo ich hin wollte, schickt er uns zurück. „Hier sind Sie ganz falsch!“
Also fahren wir die blaue Strecke bis zum klitzekleinen Parkplatz kurz hinter der Bahnhofsunterführung, zu dem wir auch über den andern Weg gekommen wären. Auf diesem „Parkplatz“ können maximal drei bis vier Autos stehen. Wir haben Glück, dass heute nur noch ein weiteres Auto dort steht.
- Der klitzekleine Parkplatz bei 46.675655, 9.676957
- Die Bahnüberführung
Wenn man das Auto abgestellt hat, muss man ein paar Meter zurücklaufen und durch die Unterführung der Rhätischen Bahn gehen. Dort beginnt dann der Fußweg Richtung „Landwasser Brücke“ bzw. „Landwasser Aussicht“ …
- Zum Viadukt geht´s rechts
- Auf dem Fußweg zum Viadukt
…und ein paar Minuten später sieht man schon das fantastische Viadukt mit seinen sechs Bögen (zumindest die westliche Hälfte). Das Landwasserviadukt hat, wie gesagt, sechs Bögen, ist 136 m lang und 65 m hoch.
Den Bau der Brücke übernahm im März 1901 die Firma Müller & Zeerleder. Der leitende Ingenieur war Alexander Acatos.
Was am Bau der Brücke besonders und zu dieser Zeit sehr ungewöhnlich war, ist die Tatsache, dass die Pfeiler ohne Gerüst aufgemauert wurden. Das ging nur deshalb, weil man in jedem Pfeiler eine Art eisernen Stützturm mit eingemauert hat, an dem man – wie bei einem Kran – das Baumaterial nach oben ziehen konnte.
Im Bereich des Viaduktes hat die Strecke eine Steigung von 20 ‰ und einen Radius von 100 Metern. Ein Traum für einen Modellbahner. So was ist nur in Schmalspur möglich! Auf Normalspur-Bahnen in Deutschland beträgt der Radius mindestens 180 m, dann darf die Höchstgeschwindigkeit von 45 km/h aber nicht überschritten werden. Will man 120 km/h fahren, was schon realistischer wäre, fordert die Betriebsordnung der Bahn von 1925 in § 66 einen Radius von mindestens 1,3 km!
Das Landwasserviadukt gilt als das Wahrzeichen der Rhätischen Bahn, obwohl das Solis-Viadukt höher ist und auch mehr Bögen hat. Täglich fahren 60 Züge drüber oder – weil´s spektakulärer klingt – jährlich 20 000. Mal sehen, ob jetzt bald einer kommt.
Es ist 13:55 Uhr. Wenn alles stimmt, was ich im Vorfeld recherchiert habe, müsste jeden Augenblick von links her – also von Davos kommend – ein Zug das Viadukt überqueren.
„Ich hör was!“, ruft Susanne und da ist der R 7829 auch schon. Pünktlich wie ein Schweizer Uhrwerk. Ob so eine Planung auch in Deutschland funktioniert hätte?
Ich schieß wieder – wie vor einer Stunde am Solis-Viadukt – ein Dutzend Bilder durch (das scheint wohl so die Menge zu sein, die gerade noch möglich ist), dann gehen wir wieder zurück Richtung Auto.
- Der R 7829 überquert das Schmittentobel-Viadukt
- Alles im Blick (Foto: Susanne)
- Das hat super geklappt (Foto: Susanne)
- Der R 7832 Richtung Davos
Um 14:06 Uhr kommt in Gegenrichtung ein Zug Richtung Davos. Leider sind wir schon zu weit weg vom Viadukt, sodass wir nur noch fotografieren können, wie der R 7832 sich s-förmig durch den Wald schlängelt. Deutlich sieht man aber, dass in der Schweiz Linksverkehr herrscht.
Als wir zu unserem Auto zurückkommen hat sich dieses auf 29°C aufgeheizt, und das auf 1104 m Höhe und am 13. September. Wir müssen – obwohl wir eine Klimaanlage haben – erst mal die Türen offen stehen und das Auto durchlüften lassen.
Um zehn vor halb drei geht es weiter Richtung Bergün.
- Unterwegs Richtung Bergün
- Unterwegs Richtung Bergün
Die Felsenschlucht am Bergünerstein
1,7 km nachdem wir am Parkplatz nahe des Landwasserviadukts gestartet sind, kommen wir an eine Hauptstraße, auf der es links nach Bergün und zum Albulapass geht. Von da an steigt die Straße mit etwa 5% Steigung leicht an.
Die ersten 4 km an dem rechts verlaufenden Bach Albula entlang sind noch ganz normal, dann aber geht’s nach einer links führenden Doppelkehre rapide an der linken Bergflanke hoch. Was dort dann nach etwa 1 km kommt, ist der Hammer. Unmittelbar in einer Linkskurve wird die nur 4½ m breite Straße auf einer Länge von ca. 300 m links von einem senkrecht aufragenden Fels und rechts von einer etwa 80 cm hohen Betonmauer begrenzt. Zu allem Überfluss kragt der Fels oben noch über die Straße. Hier darf dir kein SUV entgegenkommen!
Ich muss mich voll konzentrieren, bei Gegenverkehr da durchzufahren. Zum Glück gibt es unmittelbar nach diesem Felseinschnitt rechts eine Parkmöglichkeit, sodass ich aussteigen und Bilder machen kann.
Wir sind am Bergünerstein. Dieser soll bis Ende des 17. Jahrhunderts den Weg nach Bergün komplett versperrt haben. Weiterzukommen war äußerst mühsam, wenn nicht sogar unmöglich. 1696 beauftragte daher der Ort Bergün die beiden Steinhauer Peter Zur und Peter Tschecher mit der Sprengung des Felsens. Zum ersten Mal in der Geschichte Graubündens soll eine derartige Sprengung erfolgt sein. Da Dynamit erst 170 Jahre später erfunden wurde, nahmen die beiden Peter damals Schwarzpulver. Ob daraus der „Schwarzer Peter“ entstand, ist nicht überliefert. Für diese technische Meisterleistung zahlte Bergün angeblich 3330 Gulden, die der Ort durch Straßenzölle aber wieder hereinholte.
- Herrliche Gebirgslandschaft
- Ganz schön eng am Bergünerstein
Nachdem die Bilder im Kasten sind, fahren wir weiter und erreichen fünf Minuten später Bergün. Bergün liegt auf 1367 m Höhe und weist die Besonderheit auf, dass hier wegen der Handelsbeziehungen nach Norden überwiegend Deutsch gesprochen wird.
- Die katholische Kirche in Bergün
- In der Veja Megstra Richtung Bravuogn
Es geht immer weiter hoch. Auf den nächsten 15 km bis hoch zum Albula-Pass muss sich unser „Katzabärle“ noch mal mächtig anstrengen und weitere 950 Höhenmeter erklimmen.
Die Landschaft wird immer karger. Flechten und Geröll werden zunehmend mehr, aber die Luft ist einfach nur herrlich.
Von Bergün zum Albula-Pass
Gegen 14.45 Uhr erreichen wir auf 1367 m Höhe Bergün. Hier sind wir zwar schon 1367 m hoch, aber wir sind noch lange nicht oben am Albula. Dafür muss unser „Katzabärle“ auf den nächsten 15 km noch weitere 950 Höhenmeter klettern.
Und die Klettertour startet in der Veja Megstra, auf der wir Bergün Richtung Südosten verlassen. Die Straße ist eng und mit Kopfsteinpflaster belegt. Hoffentlich bleibt das nicht so.
Nach Bergün beginnt ein weites grünes Tal, etwas später kommt Nadelwald hinzu.
So geht es hoch und höher. 11 km nach Bergün sehen wir rechts oben ein großes steinernes Viadukt (nicht ganz so groß wie das Landwasserviadukt, aber doch auch eindrucksvoll). Es ist das obere Ende des Rugnuz-Kreiskehrtunnels. Das untere Ende führt auf einem zweiten Viadukt nach links über die Straße.
Käme da jetzt ein Zug, würde er erst mal im Tunnelportal links verschwinden und sich dann (für uns nicht sichtbar) im Berg-Innern auf einer vollständigen Kreisbahn (also 360°!) nach oben schrauben und ein paar Minuten später oben am Viadukt rechts wieder zu sehen sein.
Solche Kehrtunnel werden bei der Rhätischen Bahn öfter benutzt, um auf kleinstem Raum große Höhenunterschiede zu überwinden.
Kurz nach dem Viadukt zum Rugnuz-Tunnel überspannt ein weiteres Viadukt die Straße und dann noch eins und noch eins. Das hört gar nicht mehr auf.
All diese Bauwerke gehören zur nur 62 km langen Albulalinie zwischen Thusis und St. Moritz. Nur dank solcher Meisterwerke wie dem Solis-Viadukt oder dem Landwasserviadukt und Kehrtunneln wie dem Rugnuz-Tunnel ist es möglich, dass die roten Züge auch 1000 Höhenmeter ohne Zahnrad bewältigen können.
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