Stuttgart – Vom Puls der Stadt bis hin zur Messe
Über die Königstraße zum Rotebühlplatz und zur S-Bahn Richtung Messe
Als wir die Miniaturwelten Stuttgart verlassen, ist es 13:00 Uhr. Nachher wollen wir noch hoch nach Leinfelden-Echterdingen, wo im Rahmen des Stuttgarter Messeherbsts alljährlich auch die N-Bahn-Convention stattfindet, eine der bedeutendsten Veranstaltungen für Spur-N-Modellbahn-Enthusiasten.
Ab 15:00 Uhr kostet der Eintritt dort anstatt 18 € nur noch 12 €. Da es bis drei aber noch zwei Stunden hin sind und die Fahrt zur Messe nur eine halbe Stunde dauert, kommen wir auf die Idee, bis zur Abfahrt mit der S-Bahn noch die Königstraße entlang zu bummeln.
In der 70er- und 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts war die Königstraße eine der bekanntesten Einkaufsstraßen Deutschlands. Seitdem hat sie sich erheblich verändert. Auch die Preise haben seitdem gewaltig angezogen. Das haben wir vorhin in der Galeria Kaufhof beim Kaffee gesehen und sehen es auch jetzt bei einem kleinen Blumenladen, der für eine Schwarze Christrose stattliche 21,50 € verlangt. Im Toom-Baumarkt kostet die gleiche Pflanze 10 und bei Dehner 13 €.
Gab es zu unsere Zeit noch traditionelle Kaufhäuser wie beispielsweise Horten oder Hertie und familiengeführte Geschäfte und lokale Buchhandlungen wie Wittwer, sieht man heute nur noch internationale Ketten wie Zara, H&M und Starbucks. Viele Traditionsgeschäfte und Kaufhäuser mussten schließen (so z. B. Breuninger und C&A) und wurden durch große Filialen ersetzt.
Überhaupt ist alles kälter geworden und da meine ich jetzt nicht nur die Temperaturen, die einen um 0°C frösteln lassen. An unzähligen Menschen vorbei schieben wir uns durch die Hektik einer Fußgängerzone. Kaum jemand hat ein Lächeln auf dem Gesicht. Jeder scheint in seiner eigenen Welt gefangen. Viele blicken nach unten aufs Smartphone oder einfach nur an den anderen vorbei, um bloß nicht versehentlich angesprochen oder in eine Auseinandersetzung verwickelt zu werden.
Nach etwa einer Viertelstunde Fußweg kommt links das Haus der katholischen Kirche und kurz danach sind wir am Schlossplatz, wo links vorne das Herzog-Christoph-Denkmal steht. Im Hintergrund ein Riesenrad, das wohl auf den bevorstehenden Weihnachtsmarkt hinweist, und die anlässlich des 25-jährigen Regierungsjubiläums und des 60. Geburtstags von König Wilhelm I. von Württemberg errichtete Jubiläumssäule. Rechts dahinter schließlich der Südflügel des Neuen Schlosses, in dem heute das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus untergebracht ist.
Dreht man sich um, blickt man auf die aus 34 Säulen bestehende Kolonnade des Königsbaus. Auch da war König Wilhelm I. von Württemberg der Auftraggeber. Der Bau sollte die Pracht und Bedeutung der Residenzstadt Stuttgart unterstreichen und gegenüber dem Schlossplatz einen städtebaulichen Akzent setzen.
Links vom Königsbau, da wo jetzt der Schriftzug Thalia zu lesen ist, war früher mal der größte und älteste Bücherladen der Stadt, die Buchhandlung Wittwer. 150 Jahre lang war Wittwer der Treffpunkt für Literaturliebhaber. Er bot eine beeindruckende Auswahl an Büchern und Zeitschriften. Und genau hier haben sich Susanne und ich vor 33 Jahren auch zum ersten Mal getroffen. Seitdem sind wir zusammen.
So ein Glück hatte Wittwer nicht. 2018 wurde Wittwer von der Unternehmensgruppe Thalia übernommen. Ein weiters Stück Nostalgie ging dahin.
War die Königstraße früher eine Einkaufsstraße mit lokalem Charakter, ist sie heute eine Fußgängerzone mit internationalem Flair, also austauschbar. Da internationale Ketten auch hier das Straßenbild prägen, könnten wir genauso gut in Berlin, Kopenhagen oder London sein, wo eine Einkaufsstraße aussieht wie die andere.
Am Rotebühlplatz sieht es genauso aus. Gegenüber von Fielmann, dort wo jetzt „Depot“ an der Fassade steht (in der Königstraße 43b also) war früher mal der Musikladen „Lerche“. Ich bin damals nach der Berufsschule oft hingefahren und hab Platten gehört.
Da hat man einfach die Regale durchgestöbert und die Platte – wenn einem etwas gefallen hat – dem Verkäufer gegeben, der hat sie dann aus der Hülle genommen und „zum Probehören“ aufgelegt. Als Teenager hockte man dann vor dem Tresen und drückte sich den mit Schaumstoff gepolsterten kleinen Lautsprecher (mit heutigen In-ear-Kopfhörern hatte das nichts zu tun) ans Ohr. Das „Probehören“ war übrigens kostenlos. Die zusätzlichen Kosten für Hörstationen waren – so sagt man – im Vergleich zu den potenziellen Verkaufssteigerungen so gering, dass sich das Konzept für die Läden auf jeden Fall gelohnt hat.
Auch ich konnte nach dem Probehören nicht anders und hab zugeschlagen. Ich kann mich noch gut an das schwarze Cover mit dem Prisma erinnern, welches den von links kommenden Lichtstrahl brach, sodass rechts alle Farben des Spektrums sichtbar wurden, genauso an das Ticken der Uhr bei „Time“ und das Kassengeräusch bei „Money“. 23 DM hat die Platte gekostet, halb so viel wie meine Monatskarte. Aber Pink Floyds „The dark Side of the moon“ musste man einfach haben.
Gleich nach der „Lerche“ befand sich Radio Barth. Dort hat mein Großvater meinem Bruder damals eine Trompete gekauft.
Wir fahren die Rolltreppen runter zur S- und U-Bahn-Station „Stadt-Mitte“.
Die S-Bahn-Haltestelle ist – vom Rotebühlplatz aus gesehen – ganz auf der anderen Seite. Bis dorthin müssen wir erst mal an vielen Leuten am U-Bahn-Bahnsteig und an den flimmernden Bildschirmen vorbei. Zwischen Eye-Liner- und Fast-Food-Werbung scheint kurz die Mitteilung „Krieg gegen die Ukraine: Russland setzt Mittelstreckenraketen ein“ auf.
Fahrt zur Messe
Laut Linienplan können wir zur Messe die S2 Filderstadt oder die S3 Messe/Flughafen nehmen. Die gibt es aber anscheinend gar nicht mehr. Stattdessen fahren eine S15, eine S24 und eine S36.
Weil an der einfahrenden Bahn S36 „Flughafen/Messe“ steht, nehmen wir eben die. Später erfahren wir dann, dass ausgerechnet heute anstelle der Linien S2 und S3 die Baustellenlinien S24 Filderstadt – Marbach(N) und S36 Flughafen/Messe – Weil der Stadt eingesetzt werden. Nach Cannstatt raus fahren nur noch Busse. Es lebe Stuttgart 21!
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