Mit Schlafsack und Zelt in die Serengeti
Sonntag, 23.8.2009 (4/5)
Auf dem Weg zum Ngorongoro-Krater
Zehn nach zwei ruft Lazaro seine „Schäfchen“ dann aber endgültig zusammen. Zu Recht, auch wenn das Bier hier gar zu gut schmeckt, haben wir doch noch einen weiten Weg vor uns bis zum Ngorongoro-Krater. Luftlinie so um die 140 km, auf der Straße wohl etwas mehr.
Total erschlagen ob der wahnsinnig vielen Eindrücke (Nein, nein! Nicht wegen des Biers) hänge ich im Fond des Landcruisers. Das Dach ist, wie immer bei Überlandfahrten, geschlossen, sodass man ohnehin nicht vernünftig fotografieren könnte. Insofern interessieren mich die zwei Hyänen, die wir unterwegs sehen, auch nicht sonderlich. Landschaftlich und tiertechnisch ist also momentan nicht allzu viel rauszuholen.
Noch vor Sonnenuntergang wollen wir an der Simba A Campsite am Ngorongoro-Krater sein, auf jeden Fall, bevor die Overlander-Busse kommen. Deren Gäste sollen (wenn es stimmt, was im Internet so zu lesen ist) oft einfallen wie die Heuschrecken und nahezu alles „platt“ machen. Außerdem sei der Campingplatz am Krater sowieso immer bumsvoll. Kein Wunder, der Krater ist ja auch eines der Highlights überhaupt. Während ich das schreibe, muss ich dann schon stutzen. Geht das überhaupt? Noch „highlightiger“ als das, was wir bisher erlebt haben? Eigentlich unvorstellbar.
Aber sei’s drum! Der Sonnenuntergang wird kommen und wir werden auch heute rechtzeitig dort sein. Lazaro hatte seine Sache bisher immer voll im Griff. Warum soll’s heute anders sein? Jedenfalls geht auch heute wieder der „Macho“ mit ihm durch und er zeigt uns, was aus einer 4,5-Liter-Maschine rauszuholen ist.
PS-Machos
Ich glaube, das tut Lazoros so richtig gut, die Karre auch mal wieder ausfahren zu können. Immer nur nach Tieren zu spähen, ist auch nicht das Gelbe vom Ei und sicher sehr, sehr anstrengend und ermüdend. Mit Lazaro haben wir wirklich einen klasse Fahrer, einen, der sein Gerät aus dem Effeff beherrscht. In Afrika, auf diesen Pisten, können die meisten deutschen „PS-Machos“ nämlich einpacken. So einfach mal sagen „Hey, ich hab’ nen Landcrusier und lass mal die Sau raus“, damit ist es nicht getan. Helmut könnte euch darüber sicher ne Story erzählen. Drüben im Rift-Valley hat ihn Lazaro mal auf mal zwei Kilometer ausgesuchter Strecke fahren lassen, weil Helmut ja ga zu sehr von dem Defender geschwärmt hat. Das hat Helmut dann auch ganz gut gemacht.
Wohin eine kleine Unachtsamkeit führen kann, sehen wir kurz vorm Naabi Hill Gate. Drei Kilometer hätte der LKW noch gehabt bis zum Asphalt – und was macht er? Er legt sich mitten auf der topfebenen Schotterpiste auf die Seite. In Afrika hat man in so einem Fall ein echtes Problem. Da kannst du dann nicht mal eben den afrikanischen ADAC anrufen und sagen „Hallo, können Sie kurz vorbeikommen? Ich glaube mein rechter Außenspiegel ist verbogen.“ Leider können wir dem (unverletzten!) Fahrer auch nicht helfen, außer zu versuchen, den nächstmöglichen LKW anzuhalten.
Naabi Hills Gate
Gegen drei kommen wir dann – ohne Umkipper – am Naabi Hills Gate an. Das Naabi Hills Gate ist der südliche Eingang der Serengeti (für uns ist es eher der südliche Ausgang). Bis zur eigentlichen Parkgrenze sind’s von hier aus noch etwa 18 km. Das „offizielle Tor zur Serengeti“ hat man aber trotzdem hierher verlegt. Hier ist einfach die Aussicht über die Ebene imposanter, außerdem gibt es hier Felsen und einen Baumgürtel. Die Naabi Hills sind uralte, ausgewaschene Gesteinsformationen, inmitten der Serengeti-Ebene. Gesteine ähnlich denen, die fast überall unter Afrika liegen. Den größten Teil der Berge allerdings sieht man nicht. Die liegen „unterirdisch“, begraben unter der Vulkanasche der Ngorongoro-Vulkane. Und darauf wächst, rings um uns ‚rum, (allerdings nur in der Regenzeit) das gewaltige „Meer aus Gras“, welches die Massai „siringet“ nennen. „Siringet“ = „Endlose Weite“. Die Art und Weise, wie die Gesteinsformationen aus ihrer Umgebung „herausgucken“, verschaffte ihnen den Namen Kopjes, was auf holländisch „kleines Köpfchen“ bedeutet. Die Deutschen haben den Kopjes den Namen „Inselberge“ gegeben.
Schutzgebiet und Nationalpark
In der Serengeti befinden sich nebeneinander der Serengeti Nationalpark und das Ngorongoro-Naturschutzgebiet. Die Tierwelt ist in beiden Gebieten geschützt und kann die Grenze frei überqueren. Dennoch gibt es einen grundlegenden Unterschied zwischen einem Schutzgebiet und einem Nationalpark: Im Schutzgebiet dürfen Massai und ihr Vieh wohnen, im Nationalpark auf gar keinen Fall! Während Lazaro die „Ausreiseformalitäten“ erledigt, gehe ich mal wieder auf Fotopirsch. Schilder weisen drauf hin, was eigentlich jedem klar sein sollte: „Die Viecherl finden selber was zu fressen usw.“ Eigentlich sollte das jeder Serengeti-Besucher von alleine wissen, doch hier an der „Serengeti-Mainstreet“, wo praktisch jeder vorbeikommt, auch die Urlauber, die noch nicht mal wissen, dass sie in Afrika sind, da scheint so ein Schild echt erforderlich zu sein.
Marabus
Mein erstes tierisches Motiv in den Naabi Hills ist ein Marabu. Ein Mordskerl. Etwa so hoch wie Danny DeVito (sieht auch fast so aus) und eine Flügelspannweite 1½ mal größer als die von Michael Phelps: 3 Meter! Das ist schon die Liga Wanderalbatros (3,5 m) bzw. Andenkondor (3 m). Unsere großen Vögel, die Schwäne haben etwa 2 Meter. Marabus sind ausschließlich Aasfresser, insofern kann ich mich ranwagen, hab’ schließlich schon zweimal geduscht heute. Der Junge ist total freundlich und stellt sich in Pose. Posiert, obwohl er eigentlich potthässlich ist.
Im Zusammenhang mit Marabus habe ich noch was recht Interessantes im Netz gefunden: Um Fingerabdrücke von Ein- und Verbrechern besser sichtbar zu machen, werden die Fett- und Schweiß-Markierungen der Tappsen mit feinem Rußpulver überpinselt. Zum Auftragen des Rußes braucht man einen sehr weichen und feinen Pinsel und der wird – warum, weiß ich nicht – aus den Unterschwanzfedern der Marabus hergestellt.
Dreifarben-Glanzstare
Wo man bei den Naabi Hills auch hinsieht, überall sieht man die auffällig bunten, etwa 18 cm großen Dreifarbenglanzstare (Lamprotornis superbus). Es sind so viele, dass es fast schon eine Plage ist. Die Vögel lieben die Nähe der Menschen, denn wo’s Menschen gibt, da gibt’s auch Müll und im Müll gibt’s Insekten. Und auf diese sind die prächtig bunten Stare scharf.
Beutel-Hamsterratte
Vögel habe ich nun genug gesehen. Dieser kleine Kerl, der mit seinen Mäusefäustchen aussieht, als wolle er mich gleich verkloppen, ist wohl das kleinste Säugetier, das ich in der Serengeti vor die Linse bekam. Es ist eine Pouched Mouse (Saccostomus mearnsi). Einen deutschen Namen hat sie leider nicht, vielleicht wäre „Beutel-Hamsterratte“ ganz treffend. Diese fast unbekannte Art ist das dominierende kleine Säugetier in der tropischen Savanne Nord-Tansanias. In der Regenzeit bringen nahezu alle Weibchen ihre Jungen fast gleichzeitig zur Welt. Nur 10% der Jungen werden in der Trockenzeit geboren.
Erwachsene Tiere teilen sich Löcher in Termitenhügeln. Ob sie dort einzeln wohnen oder in Gruppen, ist noch nicht hinreichend untersucht. Das Tier ist also relativ groß. 12 bis 15 cm Körperlänge dürften es sein – ohne Schwanz. Der Schwanz dürfte vielleicht halb so lang sein. Ich schätze, dass das Tier etwa halb so viel wiegt wie eine Bratwurst, vielleicht 40 oder 50 g. Das wäre für die Trockenzeit ein respektables Gewicht. In der Regenzeit dagegen sieht’s ganz anders aus. Da wiegen die Tiere mehr als das Doppelte (das gilt auch für die schwangerschaftsbefreiten Männchen, die sich sicher nur solidarisch zeigen wollen!) Die Pouched Mouse ist ein Allesfresser. In der Regenzeit frisst sie bevorzugt Grünzeug, in der Trockenzeit Getreidekörner.
Das Territorium der Weibchen ist etwa so groß wie ein Fußballplatz, das der Männchen beträgt etwa ein Drittel davon.
Außer Spesen – doch was gewesen!
Hätte nie geglaubt, dass man bei einem kurzen Stopp so viel Interessantes sehen kann, Tiere, die dir bei der Fahrt im Landcruiser einfach durch die Lappen gegangen wären. Jedenfalls habe ich bis heute im gesamten Netz kein einziges Bild eines Touristen von einer Pouched Mouse gesehen. Es bestätigt sich, wie so oft, ein weiteres Mal. Du warst nur dort, wo du zu Fuß gewesen bist. Eine dreiviertel Stunde lebendige Naturkunde für mich, eine dreiviertel Stunde Verwaltungskram für Lazaro. Jetzt jedenfalls ist er wieder da mit einer ordentlichen Rechnung für drei Adults und zwei extra Adults und dann nochmal für drei Adults und nochmal für zwei Adults. Was da alles wofür zu zahlen ist, konnte ich nicht lesen. Ist aber auch egal. Erstens sind die Gebühren bei Elefant Tours bereits im Preis inbegriffen, zweitens haben sich die Gebühren auf jeden Fall gelohnt. Was wir in den vergangenen fünf Tagen alles gesehen haben, hätte ich nie zu träumen gewagt. Was wird noch alles kommen? Eine Steigerung jedenfalls kann ich mir nur schwerlich vorstellen. Wir werden sehen und fahren weiter.
Nach dem Gate
Beim Gate ändert sich die Landschaft schlagartig. Während auf der nordwestlichen Seite noch Bäume stehen, ist die Landschaft südöstlich vom Gate – als ob einer mit dem großen „Sauger“ drüber gefahren wäre: Baum-, Strauch- und Alles-los. In diesem trostlosen Gebiet liegt die berühmte „Wiege der Menschheit“. Fast könnte man meinen: Der Mensch kam und alles floh. Aber wir wollen ja nicht sarkastisch werden. Nicht weit weg von hier liegt die Olduvai-Schlucht. Dort hat Mary Leakey am 17. Juli 1959 einen 1,75 Millionen Jahre alten, nahezu völlig intakten Schädel eines unserer frühesten Vorfahren gefunden. Man gab ihm den Namen Zinjanthropus boisei oder kurz Zinji. Letztendlich hat sich aber der Name Paranthropus boisei durchgesetzt. Zinjanthropus boisei oder kurz Zinji sind aber auch heute noch überall gebräuchlich.
Vor ein paar Jahren wurde hier ein Museum errichtet. Ein Highlight dort ist ein Gipsabdruck von Fußspuren, welche von zwei Menschen und von dreizehigen Urpferden (Hipparion) und ihren Fohlen stammen sollen, welche zwischen den Menschen laufen. Und jetzt der Hammer: Die Spuren sollen 3,6 Millionen Jahre alt sein. Leider haben wir nicht die Zeit, das Museum zu besuchen. Ein Museumsbesuch war von Elefant Tours aber auch gar nicht angeboten, insofern vermisse ich nichts. Wir fahren weiter, schließlich wollen wir noch vor Einbruch der Dunkelheit am Ngorongoro-Krater sein.
Wie weit es noch ist bis dorthin? Keine Ahnung. Aber immerhin sieht man jetzt auch mal wieder einen Baum und in der Ferne die ersten Ausläufer der Ngorongoro Berge. Die Uhr zeigt 17:10. Drei Stunden sind wir nun schon unterwegs. Das meiste werden wir haben, denn bisher hat es Lazaro immer geschafft, rechtzeitig vor Sonnenuntergang am Camp zu sein. So wird es auch heute sein.
Kurz bevor es zum Kraterrand hochgeht, liegt linkerhand das Loonguku Cultural Boma. Hier hatte ich 2002 meine Massai-Bilder gemacht und (in meiner Naivität) geglaubt, es sei ein Original-Massai-Dorf. Das hat man mir damals auch so erzählt. Dabei ist es nichts anderes als ein kommerzielles Vorzeigedorf für vorbeiziehende Touristen. Was es dort zu sehen gibt, ist auf der Homepage der Ngorongoro Conservation Area Authority zu lesen: Man lernt jede Menge über die einzigartige Kultur der Massai, man kann Fotos machen und Erinnerungsstücke kaufen. Das hat natürlich seinen Preis und der Tourist, der 2000 € für die Reise hingeblättert hat, wird sich nicht scheuen, für sein Foto von den „Wilden“ auch mal 20 $ abzudrücken. Allerdings stimmt die Relation nicht. Der jährliche Bruttosozialprodukt (BSP) in Tansania liegt pro Kopf bei 500 $, was man auf den Seiten des auswärtigen Amts nachlesen kann. In den Bomas nehmen die „Vorzeige-Massai“ für den etwa einstündigen Besuch 20 $, von jedem! Und Halsketten kaufen und Tücher und naive Malkunst ist ohnehin ein Muss. Eine Boma ist also kein Massai-Dorf, sondern ein Museumsdorf, ein Touristenunternehmen, für mich ähnlich authentisch für Tansania wie die Vogtsbauernhöfe authentisch sind für Deutschland.
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