Samstag, 31. Dezember 1988
Ich will nur noch weg
Die letzte Nacht in Davao ist Gott sei Dank vorbei. In vier Stunden sitz ich im Flugzeug nach Cebu und heute Abend feier’ ich im „Frankfurter Hof’ Silvester. Darauf freue ich mich schon. Nur noch elf Mal schlafen, dann bin ich wieder in Welzheim.
Frühstücksüberraschung
Auch heute bleib ich meinem Grundsatz treu: Kein Frühstück mehr und überhaupt kein Essen mehr im „Men Seng“. Ich geh also wieder hoch zum „Fishpenn“. Doch an der Tür hängt heute ein Schild „Sorry, we are closed“. So ein Mist aber auch!
Grad als ich gehen will, öffnet jemand die Tür und bittet mich herein. Der Manager meint, Minda habe ihm von mir erzählt, und das Schild würde doch nicht für mich gelten. Die Belegschaft hat sich getroffen, um im Kollegenkreis den Jahreswechsel zu feiern. Und ich darf mithalten. Minda ist auch da. Wir reden kaum miteinander. Ich glaube, sie hat ein schlechtes Gewissen, weil sie mich gestern versetzt hat. Aber egal. Ich seh sie eh nie mehr wieder. Nach dem Frühstück bedanke ich mich und möchte zahlen, doch der Manager wehrt ab. „Friends don’t pay“. Rüdiger ist der „Freund“ und dabei soll’s auch bleiben. Mir kommt das alles sehr, sehr komisch vor. Trotzdem sag ich nochmal „Danke“, verabschied mich und geh’.
Rückkehr nach Cebu
Es regnet. Mein Schnupfen macht mir nach wie vor zu schaffen, aber das Halsweh ist fast weg. Trotz des Regens ist der Flug heute phantastisch und wir landen schon eine dreiviertel Stunde später – früher als erwartet – auf dem Mactan Airport Cebu. Nach der Landung geh ich erst mal ins „Silangan“ zum Kaffee trinken. Mir ist’s lästig, mich den Taxifahrern ständig erklären zu müssen und ob ich Lorenzo wieder treffe, ist eh fraglich. Bis ich mit dem Kaffee fertig bin, wird der größte Teil der Meute weg sein.
Mit dem Taxi geht’s in die Stadt zum Town and Country. Dort erwartet man mich bereits. Der Boy hat nämlich mein Schweizer Offiziersmesser gefunden und war sehr beunruhigt, weil er es mir nicht wieder zurückgeben konnte. Ich bedank’ mich herzlich und geb’ ihm für seine Ehrlichkeit 5 ₱.
Anschließend geh ich kurz rüber zum „Frankfurter Hof“. Dort sind die Silvester-Vorbereitungen bereits in vollem Gange. Karl-Heinz ist gerade dabei, die Salate zu beschriften, damit heute Abend auch jeder weiß, was er sich da zwischen die Kiemen schiebt. Ich meine, sein tun sei sinnlos, da nach dem achten Bier doch keiner mehr die Schildchen lesen können. Karl lässt sich schnell überzeugen, hält inne und nimmt die bereits fertigen Schildchen wieder weg. Ich kann ihm nicht helfen und ich will auch nicht stören, deshalb mache ich noch eine abendliche Runde den Osmeña Blvd. runter.
Silvester 1988/1989
Um 19:00 Uhr bin ich wieder im „Frankfurter Hof“. Fünf Stunden noch, dann ist 1988 – zumindest in diesem Teil der Welt – Geschichte. Das kalte Buffet – mittendrin das für die Philippinen obligatorische Lechon – sieht irre aus.
Es ist schade, dass nur so wenige Gäste gekommen sind, doch die Gesellschaft, die sich versammelt hat, ist durchaus interessant. Besonders fällt mir eine Frau in einem weißen Kleid mit durchgehender Knopfleiste am Rücken ins Auge – atemberaubend. Sie hebt sich deutlich von den anderen ab. Ich muss zugeben, dass ich anfangs etwas verlegen war und mich nicht getraut hab, gleichzeitig mit ihr ans Buffet zu gehen. Als wir dann doch parallel an die Salate kommen, stellt sich heraus, dass sie nicht nur äußerlich sehr beeindruckend ist, sondern auch noch unglaublich sympathisch und dabei völlig natürlich. Sie erzählt, sie sei Hebamme – schon wieder eine? Es macht richtig Spaß sich mit ihr zu unterhalten. Als sie dann noch sagt: „You’re very nice and so different from the other Germans who come here“ fehlen auch mir kurz die Worte. „Interesting that you say that! But what exactly sets me apart from the others? I’d love to learn more about that.“ Sie lächelt, bleibt mir die Antwort aber schuldig.
Ich setz mich wieder an meinen Tisch. Zu viert haben wir uns zusammengetan und für 200 ₱ eine Flasche französischen Sekt geleistet, mit deren Inhalt wollen wir um zwölf auf das kommende Jahr anstoßen. Was wird es uns wohl bringen? Werd’ ich Bärbel heiraten nächstes Jahr, mag sie mich überhaupt noch, wenn ich zurückkomme? Je mehr Alkohol fließt, desto sentimentaler werde ich.
Gegen Mitternacht geht’s dann raus auf die Straße. Überall Lärm, Trubel, Krach und der Gestank nach Schwarzpulver. Viele der Filipinos bauen ihre Kracher selbst. Und wo die hingeworfen werden, da wächst in den nächsten Jahren – weiß Gott – kein Gras mehr. Möcht’ nicht wissen, wie viele Tote es diese Nacht geben wird auf den Philippinen. Aber daran denkt im Augenblick hier niemand.
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