Donnerstag, 29. Dezember 1988
Ich bin um drei Uhr aufgestanden und ohne Frühstück zum Flughafen gehechtet. Im Hotel ist’s ruhig, alles schläft. Aber ich hab ja schon gestern Abend gezahlt. Zum Flughafen sind’s nur drei Minuten.
Alles anders als erwartet
Ich bin hundemüde und fühle mich echt mies. Ohne Dusche und Frühstück komm ich einfach nicht in die Gänge. Aber der Flieger – der kommt dafür umso schneller in Fahrt. Schon beim Einsteigen hab ich gemerkt, dass das hier nichts Gutes wird. Die Bestuhlung ist eng, die Luft stickig, und die Sitze sehen aus, als hätten sie schon bessere Zeiten gesehen. Beinfreiheit? Fehlanzeige.
„Und wie der startet! Ich komm mir vor wie Indiana Jones in Tempel des Todes, wo die auch so einen unmöglichen Start hinlegen. Der Steigflug ist eine Katastrophe. Turbulenzen ohne Ende. Das Kabinenpersonal bleibt angeschnallt, die ganze Zeit. Das Flugzeug macht Geräusche, die ich nicht zuordnen kann – alles knarzt und wackelt. Ich kralle mich in der Lehne vor mir fest. Zum Glück ist es dunkel, sonst würde ich wahrscheinlich noch mehr Angst kriegen. Mir ist kotzübel, das ist kein Spaß mehr. Plötzlich sackt die Maschine ab, alle schreien. Die Anschnallzeichen gehen an, und ich denk nur: „Warum tu ich mir das an?“
Endlich gelandet, aber von „festem Boden“ spür ich nichts. Ich habe das Gefühl, als ob der im Terminal genauso wackelt wie der vorhin im Flugzeug. Wohl alles nur, weil ich nichts im Magen habe. Mit dem Taxi geht’s dann Richtung Stadt. Es ist halb sechs in der Früh, und die Straßen sind leer. Da schläft wohl noch alles. Ich lass mich am People’s Park absetzen. Natürlich hat das Tourist-Office um diese Zeit noch zu. Auch sonst gibt es in der flächenmäßig größten Stadt der Philippinen nirgendwo irgendeine Form von Leben.
Das schlimmste Hotel ever: Men Seng
Ziellos lauf ich durch den Morgen. Ich hab’ größte Schwierigkeiten mich zurecht zu finden. Nicht eine der im „Jens Peters“ verzeichneten Straßen heißt noch so.
Gegen dreiviertel sieben erwacht Davao allmählich. Ein Typ empfiehlt mir ins „Men Seng“ zu gehen. Das hat bereits auf und es hat auch Zimmer frei. Ich bekomm Zimmer 224. Das „Men Seng“ aber ist ein dreckiges Loch. Vielleicht ist ja auch nur bei Zimmer 214 so? Letztendlich ist mir das egal. Ich brauch nur was, wo ich schlafen kann, und wo ich schon am frühen Morgen „etwas zwischen die Kiemen“ bekomme, um nicht mit gänzlich leerem Magen weiterzuziehen.
Adler gesucht, Guerillas gefunden
Nach ein paar Tassen Kaffee, einem pappigen Brötchen und einem undefinierbaren „Fruchtquark“ bin ich schon wieder unterwegs. Ich will das „Philippine Eagle Project“ in der Nähe von Baracatan suchen.
In Baracatan steige ich aus und gehe den Weg lang, wo ich glaube, dass das „Eagle Camp“ sei. Weit komm’ ich nicht, denn dann werde ich von 5 Männern in Militär-Overalls angehalten. Die wollen meinen Pass sehen und kontrollieren meinen Beutel mit der „Canon Top Shot“. Die Männer sind relativ freundlich, aber dennoch geben sie mir eindringlich zu verstehen, dass ich hier nicht sein darf und dass ich hier auch nicht fotografieren darf. Da sie alle bewaffnet sind, werd’ ich ihnen wohl Folge leisten müssen. Ganz wohl ist mir bei der ganzen Sache aber nicht. Ich sag ihnen, dass ich doch nur Tourist bin und zum „Eagle-Camp“ möchte.
„The Eagle Camp is not here anymore, in July it moved to somewhere else!“ Einesteils ärgere ich mich, dass ich jetzt eine Stunde umsonst hierher gefahren bin, andererseits bin ich froh, dass ich hier ohne größeren Ärger wieder wegkomme. Ich lauf zurück nach Baracatan, warte auf einen Jeepney und fahr zurück nach Davao. Leider fährt der Jeepney, den ich genommen habe, aber nur bis Toril. Aber auch das hat was Gutes. Im Toril erfahr ich nämlich, dass das „Eagle Camp“ neuerdings in Richtung Olas/Caliman sei.
Also fahr ich eben wieder nach Davao zurück und dann mit einem anderen Jeepney weiter nach Calinan. Bis dorthin ist es nicht allzu weit, von Davao aus etwa ‘ne dreiviertel Stunde. Die Odyssee ist aber noch nicht zu ende. In Calinan muss ich mir dann ein Tricycle nach Malagos nehmen. Die Fahrt dauert allerdings nur 10 Minuten. „I can’t ride the trike on this way. To the Eagle Camp it’s about two kilometers on foot from here.“ Aber Vorsicht, wenn man nach 1½ Kilometern Weg den Abzweig Richtung Süden verpasst, dann war’s das mit dem Eagle-Camp-Besuch.
Ich hab’ den Abzweig zum Glück nicht verpasst. Von da an geht’s dann auch angenehm durch Dschungel und Bananenstauden hindurch den Berg runter und gegen 11:00 Uhr komm’ ich tatsächlich beim richtigen Camp der „Philippine Eagle Conservation Program Foundation Inc.“ – wie sich das „Eagle Camp“ offiziell nennt – an, etwa 30 km nord-westlich von Davao.
The Philippine Eagle Project
Im Camp selbst werde ich herzlich vom Domingo Q. Tadena, dem Manager des Camps, begrüßt. „Since we had to move, European tourists have rather rarely visited the camp“, sagt Domingo, daher sei er über meinen Besuch sehr glücklich. Er freue sich übrigens über jeden Besucher, der sich für das Projekt interessiert. Domingo Q. Tadena ist der Manager des Eagle Camp. Er ist ein Super Typ. Überaus freundlicher führt mich durchs Camp und zeigt mir mit einer Eselsgeduld die Anlage und die Tiere. Neben den 13 erwachsenen Adlern, die in der Zuchtstation leben, seien in freier Natur nur noch ca. 20 Tiere sicher nachgewiesen. Der Gesamtbestand auf der ganzen Welt dürfte wohl kaum mehr als 100 betragen.
Seit Jahren versucht man in der Adlerstation Nachwuchs zu züchten. Leider ohne Erfolg. Zweimal versuchte man, das ca. 20jährige Weibchen Diola mit einem Adlermann zu verpaaren. Beide Male brachte die resolute Adlerfrau jedoch ihre vorgesehenen Partner um, ehe die Pfleger eingreifen konnten. Es ist völlig unklar, warum Diola so unverträglich ist. Als sie es mit künstlicher Befruchtung versuchten, hat Diola die Pfleger angegriffen.
Die anderen vier Weibchen sind angeblich noch zu jung. Aber Domingo und seine Mannen geben die Hoffnung nicht auf. Irgendwann sind auch sie geschlechtsreif, und wenn es auf natürliche Weise nicht klappt, wird man auch bei ihnen die künstliche Besamung versuchen.
Apropos „Monkey Eating Eagles“: Der Adler, den der britische Naturforscher John Whitehead vor 90 Jahren entdeckt hat, soll damals tatsächlich gerade einen Affen am Wickel gehabt haben. Inzwischen ist aber bekannt, dass dies eine wohl eher ungewöhnliche Beute war. In erster Linie fressen die „Philippinen-Adler“ nämlich Flattermakis, Vögel, Echsen und Schlangen. Die ganze Führung durch Domingo ist für mich höchstinteressant. So nah hab ich Adler noch nie gesehen. Davon abgesehen, ich hab überhaupt noch nie Adler gesehen. Und Philippinen-Adler erst recht nicht. Sie sind wahre Prachtkerle. Laut Domingo sollen es größten Adler der Welt sein, die „Monkey Eating Eagles“.
Zurück nach Davao
Jetzt muss ich mich auch wieder auf den Weg machen, Davao ist weit. Zum Abschied trag’ ich mich ins Gästebuch der Vogelwarte ein, lass’ eine kleine Geldspende dort und wünsche Domingo und seinem Projekt „Viel Glück“. Die können’s brauchen. Glück hab ganz offensichtlich auch ich jetzt. Arbeiter eines Elektrizitätswerks, die im Camp gerade Stromleitungen gespannt hatten, bieten mir an, mich auf ihrem Pritschenwagen mit nach Davao zu nehmen. Auf diese Weise bin ich schon um dreiviertel vier wieder in Davao und könnte eigentlich was essen gehen, nur wo, wo doch in Jens Peters Reise-Handbuch gar nichts mehr stimmt?
Vielleicht weil ich in Cebu im „Frankfurter Hof“ so gute Erfahrungen gemacht habe, wähle ich mir hier in Davao auch den „Frankfurter Hof“ aus. Doch auch den „Frankfurter Hof“ gibt es nicht mehr in Davao. Bei einer Nachfrage im Tourist Office sagt man mir, ein Restaurant „Frankfurt“ gebe es nicht und es auch noch nie gegeben. Das ist schon komisch, dieses Davao. Es gibt überhaupt gibt es nichts mehr, was im Reiseführer beschrieben ist. Weder Straßennamen stimmen, noch sind die beschriebenen Gaststätten oder Hotels da. Das Eagle-Camp ist umgezogen und im Wald laufen in Militär-Overalls gekleidete Männer, die im Wald harmlose Backpacker kontrollieren. Da ist doch nicht normal!
Was ist in Davao überhaupt normal? Im „Men Seng“ angekommen kann man an der Rezeption dann meinen Zimmerschlüssel nicht mehr finden. Langsam werd’ ich sauer. Ich hab’ fast alle meine Sachen im Zimmer. Nach einem sehr ernsten Wortwechsel mit dem Geschäftsführer ist der Schlüssel – oh Wunder – plötzlich wieder da. Zum Glück fehlt nichts. Trotzdem – solltet ihr selbst mal in Davao sein, kann ich euch vorm „„Men Seng“‘ nur abraten. Ich muss raus hier! Ich muss mich irgendwo hinsetzen und was essen. – Überall, bloß nicht hier. Mein Weg rein in die Stadt führt mich ins „Fishpenn“, grad mal 500 m weg vom „Men Seng“.
Fishpenn
Das „Fishpenn“ sieht nicht gerade einladend aus. Aber immerhin kann ich hier als Backpacker in Ruhe essen, ohne aufzufallen. Kaum habe ich Chop Suey und ein „San Miguel“ bestellt, umgarnt mich die Bedienung Minda regelrecht: „Why don’t you drink a Carlsberg? We have Carlsberg-promotion-weeks and for every Carlsberg I sell, I’ll get one Peso.“ Ehrlich gesagt, ist mir egal, welches Bier ich trinke. Wenn ich ihr mit einem Carlsberg helfen kann, warum nicht? Ein kleines Bier und eine gute Tat – klingt nach einem fairen Deal.
Das Chop Suey im „Fishpenn“ ist zum Reinlegen. Mir schmeckt’s richtig gut und ich spachtel wie ein Wahnsinniger. Jetzt, ja jetzt ist die Welt wieder einigermaßen in Ordnung – wenigstens für heute Abend. Inzwischen bin ich einer der letzten Gäste und Minda hat sich zu mir gesetzt. Wir reden über dies und das. Minda erzählt von ihrer Familie, ihrem Zuhause und dem Mann, der sie mit drei Kindern hat sitzenlassen. Geduldig hör ich mir ihre Geschichte an. Ich frag nicht nach, ob sie erfunden ist, oder wahr. Es macht einfach Spaß, ihr zuzuhören. Dann frag ich nach, warum eigentlich in Davao nichts mehr ist wie früher, Straßennamen, Gasstätten usw. usw. Da erfahr ich den ganz einfach und auch banalen Grund: Davao hat Schluss gemacht mit der Vergangenheit. Seit Marcos vor zwei Jahren gestürzt wurde, wollte man alles neu machen. Nichts soll mehr an die alte Kolonialgeschichte oder an die Marcos-Ära erinnern. Okay!
Wie in einem schlechten Film geht’s weiter. Morgen, sagt sie, habe sie frei und sie wolle mir die Gegend zeigen. Zum „Holy Shrine of Jesus“ soll’s gehen. Natürlich freu’ ich mich und stimme zu. Wir verabreden uns für morgen früh 8:00 Uhr. Genau in diesem Moment fällt das Licht aus. Fast könnte man meinen, das sei ein „himmlisches Donnerwetter“ und ich fühl’ mich gegenüber Bärbel irgendwie schuldig. Doch während ich noch grüble, hat ein dienstbarer Geist auch schon eine Kerze auf den Tisch gestellt.
Da hab ich mir was eingefangen
Ich trink mein Bier aus – immerhin bin ich schon seit 18 Stunden auf und möchte gehen. Da wird mir plötzlich ganz schummerig, mein Hals tut weh, zieht sich zu und ich bekomm kaum mehr Luft. Trotzdem gehe ich „nach Hause“ ins „Men Seng“, wo ich mir gleich zwei Imposit-Lutschtabletten einschiebe. Doch die „Bonbons“ sprechen überhaupt nicht an, da könnte ich auch gleich die ganze Schachtel lutschen, das bringt nichts. Das Halsweh bleibt und ich frier wie ein Schneider. Deshalb zieh ich mir alles an, was ich im Rucksack finden kann: Lange Unterhosen, langes Unterhemd, Wollsocken und Mütze. Um den Hals wickle ich mir ein Handtuch. So vermummt geh ich ins Bett und schwitz mir einen ab, doch das Halsweh geht nicht weg, wird sogar immer schlimmer.
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