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Donnerstag, 15. Dezember 1988


Entdeckung des Paradieses


Ich hab geschlafen wie ein Toter. Als ich aufwache ist es bereits neun und die Sonne sticht schon wieder gottserbärmlich. Immer wieder denk’ ich an Bärbel. Zusammen aufwachen und zusammen am Strand spazieren gehen, das wär’ schon was. Klar, danach kommt auch wieder der Alltag, aber zumindest heute und die nächsten Tage, wäre sie hier.

Frühstück


In der Ferienanlage von Felix de los Santos

Während ich unter Palmen auf der Gartenterrasse sitze und auf mein Frühstück warte, spiele ich mit dem Ring an meiner Hand, den ich vorgestern im „Pistang Filipino“ in Manila für Bärbel gekauft habe. Bei den tropischen Umgebungsbedingungen ist er schon ganz schön schwarz geworden. Von Silber keine Spur mehr. Um meinen Finger herum hab’ ich auch schon einen schwarzen Streifen, der sich nicht mehr wegwaschen lässt. Aber sei’s drum. Aus der Musikanlage – schon komisch bei der Hitze – klingen Weihnachtslieder.

Von drinnen aus der Küche höre ich Geräusche – Geschirr klappert, und ab und zu riecht man auch, wie etwas gebraten wird. Es kann also nicht mehr lange dauern. Dann wird das Frühstück gebracht: Ich hab „Tocino“, das sind dünne, süß eingelegte Schweinefleisch-Streifen, und ganz normale Spiegeleier, die hier „Itlog“ heißen. Damit es schön aussieht, ist das Ganze mit süß-sauren Papayastreifen garniert. Dazu gibt’s – irgendwie können die keinen vernünftigen Kaffee – Nescafé und Calamansi-Juice. Ich bin grad am Essen, als plötzlich ein kleiner, wuscheliger hellbrauner Hund auftaucht. Wie er mich so anschaut mit dem leicht geneigten Kopf, den nach vorne gekippten Ohren und den großen Augen, ist klar, was er will. Ich nehme ein kleines Stück „Tocino“, halte es ihm hin, und er schnappt es vorsichtig aus meiner Hand. Danach setzt er sich wieder hin, als wolle er fragen: „Ist da nicht mehr da?“

Das Frühstück schmeckt aber auch mir ausgezeichnet, sodass es bei dem einen Fleischstreifen bleiben muss.

Ausflug zur Ostküste


Ich weiß nicht, warum, aber plötzlich habe ich so einen richtigen Blues, Ich geb’s ja zu: Bärbel fehlt mir schon sehr. 27 Tage noch. Vielleicht wird‘s besser, wenn ich heute Mal weg geh von dem ganzen Trubel, an einen Ort, an dem ich allein sein kann mit mir. In Jens Peters Reiseführer steht, dass an der Ostküste absolut tote Hose sei. Das ist – glaube ich – jetzt genau der richtige Ort für mich.

Erkundung der Ostküste

Bis zur Ostküste ist es nicht weit, vielleicht 20 Minuten zu Fuß, doch ist man dort in einer anderen Welt. Während die Westküste mit dem weltberühmten White Beach, einem der schönsten Strände, von sich reden macht, ist die Ostküste bei Weitem nicht so schön. Hier ist die See rauer. Aber es tut gut, mal weg zu sein von den Leuten, dem „Macho-Gehabe“ (Wer hat wohl den schönsten Körper?), dem „Macho-Gequatsche“ und dem nervtötenden „Last-Christmas-I-gave-you-my-heart-Geplärre“. Die Atmosphäre hier ist ruhig und entspannt, perfekt, um einfach mal die Seele baumeln zu lassen.

Hier im Osten gibt’s nur Natur. Ich schlender am Meer entlang Richtung Norden. Nördlich von Bulabog wird die Küste allerdings schnell äußerst steinig und gefährlich. Die Klippen sind derart scharfkantig, dass ich einfach nicht mehr weiterkomme. Mir bleibt nichts andere übrig, als zurückzugehen. So einfach ist das aber gar nicht, denn die Flut steigt rasant. Um mich herum werden Seesterne und Quallen (Mangrovenqualle – Cassiopea andromeda, Feuerqualle – Pelagia noctiluca) an die Klippen geklatscht. Viele von ihnen sind feuerrot und haben bis zu zwanzig, fünfundzwanzig Zentimeter Durchmesser. Da sie recht giftig aussehen, will ich jeden Kontakt mit ihnen tunlichst vermeiden.

Zurück ins Insel-Innere

Negritos


Akrobatisch über die Klippen staksend habe ich dann endlich wieder festen Boden unter mir. Ab Bulabog geht’s dann wieder westwärts. Allerdings habe ich ein saublödes Gefühl, als ob mich jemand beobachtet. Ich dreh mich um und sehe im Meer stehend ein paar Einheimische, die offenbar fischen. Diese Menschen sehen aber ganz anders aus als die Philippinos, die ich bisher kannte, viel kleiner, viel dunkler und irgendwie auch viel wilder. Das liegt vielleicht aber auch nur daran, dass sie mordslange Messer am Gürtel haben, die ihnen bis zu den Waden reichen. Obwohl mir nicht ganz wohl ist in meiner Haut, versuche, mit ihnen zu reden, aber sie scheinen mein Englisch nicht zu verstehen. Sie sagen nichts und lächeln mich nur an, als ob sie in Trance wäre. Dabei läuft ihnen n ein roter „Sabber“ aus den Mundwinkeln. Ich bleibe freundlich, zieh mich dann aber schleunigst zurück. Das scheint sie nicht zu interessieren. Sie gehen einfach weiter ihrer Tätigkeit im Meer nach.

Nach ‘nem knappen halben Kilometer komm ich wieder auf einen festen Weg, na ja, was man hier so „festen Weg“ nennen kann und steh plötzlich vor einem ganz besonderen Friedhof. Anders als in Städten, wo Verstorbene wie bei uns beerdigt, also in einem Grab unter der Erde bestattet werden, wurden die Verstorbenen hier in oberirdischen Steinsärgen beigesetzt. Dass man die Toten nicht beerdigt, hat ganz einfache Gründe: Zum einen ist der Grundwasserspiegel recht hoch, zum andern ist der Untergrund so felsig, dass er schwierig würde, überhaupt Gräber auszuheben.

Jetzt bin ich zurück am White Beach. Und esse eine kleine Schüssel Tomatensalat. Inzwischen habe ich auch eine Postkarte an meinen Kollegen Bodo und seine Freundin Geli nach Stuttgart geschickt. Während des Essens komm’ ich mit Carlos, einem Philippino, ins Gespräch. Ich erzähl im von meiner Begegnung mit den „Schwarzen“ an der Ostküste und dass ich ob deren langer Messer und dem blutroten Sabber ganz schön Schiss hatte. Carlos meint aber, dass mein Sorge unbegründet sei. Sie „Schwarzen“ seien keine „Menschenfresser“, sondern „Negritos“ vom Stamm der „Ati“ – aus seiner Sicht „ganz arme Schweine“. Der „rote Sabber“ komme daher, dass sie um Hunger und Durst zu unterdrücken, fortwährend Betel-Nüsse kauen. Für viele Negritos sei das einfach der Essen-Ersatz. Das macht mich schon nachdenklich: „Essens-Ersatz“, während ich mir nach dem Tomatensalat auch noch einen Teller „Lechon Kawali“ reinziehe.

Entspannung


Nach dem Essen bin ich so voll, dass ich erst mal zurück gehe in meine Hütte, mich ein Weilchen hinlege und Cassette höre (wozu hab ich denn meinen Sony WMDC 6 und Cassetten dabei?). Heute mal was Anderes als Weihnachtslieder, nämlich „leichte Kavallerie“, „An der schönen blauen Donau“ , „Kaiser-Walzer“, „Tritsch-Tratsch-Polka“ und „Radetzky-Marsch“.

Die Cassette ist aus und der Blues von heute morgen ist weg. Allerdings, wenn in einer dreiviertel Stunde die Sonne untergeht, dann frag ich mich sicher, und was hast Du heute den ganzen Tag gemacht? Ich bin am schönsten Strand der Welt und lieg hier im Bett!

Bacardi Feeling


Entlang des White Beach zum Lorenzo South

So geht’s ja nun mal gar nicht, also geh ich raus. Aber am Strand liegen ist nicht so mein Ding, auch wenn manche Bikini-Schönheiten noch so gut anzusehen sind – oder vielleicht gerade deswegen? Jetzt einen Drink in der Hand und das Bacardi-Feeling wär komplett. Jetzt hab’ ich mir echt einen Ohrwurm geholt. Ich tänzel über den Strand und summe mit: Come on over have some fun, dancin′ in the mornin“ sun. Look into the bright blue sky, come and let your spirit fly“ – „What I‘m feeling, It′s never been so easy, when I′m dreaming …

Noch nie hatte ich so ein Verlangen nach einem Bacardi, dabei weiß ich gar nicht, wie dieser weiße Rum überhaupt schmeckt. Ich denke aber, dass es im „Lorenzo South“ sicher einen Bacardi geben müsste. Leider kennt man „Bacardi“ nicht im „Lorenzo South“. Nun, wenn auf Boracay schon kein „Bacardi-Feeling“ aufkommen kann, wie wär’s dann mit „Añecho-sentimiento“? Der philippinische „Añecho“ ist schließlich auch Rum und den gibt es hier an jeder Ecke. „Añecho-Cola“, das könnte der Renner werden, schließlich kostet eine Flasche Rum hier nicht mehr als eine Flasche Bier oder eine Flasche Cola. Ich bestelle zwei Cola, eine Flasche „Añecho“ und mische selbst.


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