Donnerstag, 8. Dezember 1988
Wechsel ins Duchess
Was für eine Nacht! So völlig ohne Jun im Kopf, habe ich super durchgeschlafen bis heute früh! Jetzt gehe ich erst mal duschen. Es gibt einfach nichts Besseres, als wenn man morgens duschen kann. Da ist man hernach einfach ein neuer Mensch. Wenn Du dich anschließend zum Frühstück noch an einen gepflegten Tisch setzen kannst, dann geht da einfach nichts mehr drüber. Einziger Nachteil: Es ist Donnerstag, also sind wieder zwei Resochin fällig.
Als „richtiges“ Frühstück gönne ich mir heute „Arroz Caldo“, einen Brei aus Reis, Hühnchen, hartgekochten Eiern, Ingwer und Knoblauch. Dazu natürlich eine ordentliche Tasse Kaffee und Orangensaft. Das „Princess“ versteht es wirklich, herzhaftes Frühstück zu servieren. Es hat schon was, so in den Tag zu starten. Trotz der gemütlichen Atmosphäre hier, packe ich meine Sachen, checke aus und nehme ein Tricycle rüber zum „Duchess“. Der Grund? Dort ist’s einfach deutlich preiswerter. Edwyna freut sich, als sie mich wieder sieht und zeigt mir mein Zimmer. Klar, nicht ganz so nobel wie das im „Princess“, aber für 7 Mark pro Tag richtig gut.
Die Augsburger, die mir vorgestern den Tipp gaben, sind natürlich nicht mehr da, die haben sich gestern Richtung Thailand verabschiedet. Ach, noch was: Von der ominösen Toten, von der Rudi gestern im „Sheena’s“ erzählt hat, habe ich natürlich auch nichts mitbekommen. Wahrscheinlich hat der nur Stuss geredet. Nachdem ich mit dem „Duchess“ ein neues Zuhause habe, gehe ich – wie gestern – wieder in die Stadt.
Kinderfest am Mendoza-Park
Am Mendoza-Park geht heute so richtig die Post ab. So viele Menschen auf einmal habe ich zuletzt am 9. Mai 1982 in der Waldbühne beim „Fest für den Frieden“ erlebt. Nur, die Waldbühne, Wo seinerzeit Hannes Wader, Udo Lindenberg, Konstantin Wecker u.v.a.m. auftraten war deutlich größer!
Was geht hier ab? Ich lass’ mir erklären, dass heute nationaler Feiertag ist, das „Fest der Unbefleckten Empfängnis (Mariä Empfängnis)“. Da haben viele Menschen frei und nutzen den Tag zum Beten oder mit der Familie an irgendwelchen Veranstaltungen teilzunehmen. So wie hier in Puerto Princesa, wo es Konzerte gibt, eine Caracol-Boots-Prozession, die Wahl der „Miss United Way“, verschiedene Quiz-Veranstaltungen und eben dieses Kinderfest.
Bei so einem Kinderfest gehört auf den Philippinen natürlich unbedingt das traditionelle „palo sebo“ dazu. Dabei gilt das Interesse einem etwa zehn Meter Kletterbaum, an dessen oberem Ende an einer Art „Wagenrad“ Säckchen mit allerlei Gewinnen befestigt ist, z.B. die philippinische Flagge – was für manche Jungs – zumindest nach offizieller Meinung – der „höchste“ zu erreichende Preis sei. Die meisten Jungs aber – und wer soll es ihnen verdenken – interessieren sich aber eher für Geld, Süßigkeiten, Plastik-Spielzeuge oder neuerdings auch das Plagiat eines Schweizer Offiziers-Messers. Um das „palo sebo“ für die Kletterer schwieriger und für die Zuschauer noch lustiger zu machen, sind die Bambusstangen mit irgendeinem Fett eingeschmiert. Wer es schafft – trotz des rutschigen Stamms – , bis zur Spitze zu kommen und oben am Ring was „abzupflücken“, ist ein „Held“, wer es nicht schafft, ein „Looser“.
Für die Mädchen ist das „palo sebo“ natürlich nichts. Für sie sind traditionell „beauty peagants“ angesagt. Derartige „Miss-Wahlen“ gibt es überall auf den Philippinen – selbst in der finstersten Provinz und auch schon für kleine und kleinste Mädchen. Da wird dann die „Miss Yellow Rose“ gekürt, die „Miss White Sea“ oder die „Miss ‚was-weiß-ich-was““.
Im schönsten Outfit stelzen die sechs- bis zehnjährigen Mädchen über den Laufsteg, lautstark angefeuert von ihren stolzen Familien. Was hier abgeht, kann sich ein Europäer, der sowas noch nie gesehen hat, schwerlich vorstellen. Vielleicht liegt die „Miss-Begeisterung“ darin, dass die erste Frau der philippinischen Mythologie „Maganda“ hieß, oder daran, dass die Präsidenten-Gattin Imelda Marcos ursprünglich auch nur ‘ne „Dorfschönheit“ war, dann „Miss Manila“ und schlussendlich „First Lady“ und damit die einflussreichste Frau der ganzen Philippinen. Ihr waren „Miss-Wahlen“ so heilig, dass sie – wenn eine Miss-Wahl anstand –sogar Flugzeuge mit Chemikalien aufsteigen ließ, die dafür sorgten, dass die Wolken woanders abregneten, nur nicht in der Nähe der „Schönen“. Wer weiß, vielleicht träumen die Familien der Mädchen auch diesen Traum vom Macht und Geld?
Eine Zeitlang mach’ ich das Tohuwabohu mit, dann bin ich es leid, gedrückt, geschubst und vom Geplärre der Lautsprecher taub zu werden. Langsam macht sich auch wieder der Durst breit. Ich geh weiter Richtung Hafen.
Stadtrundgang
Ungewöhnliche „Haustiere“
Während am Mendoza Park der „Bär tanzt“, treff ich unterwegs ein Mädchen. Es ist allein und sitzt auf einem Stein. Seine Augen sehen so aus, als lebe es in einer ganz eigenen Welt. Was sie von allen andern unterscheidet, ist ein Grashüpfer, den sie an einem feinen Faden gebunden hat, ganz so, als wäre er ein Hund, den sie „Gassi“ führt. Es mag erst Mal seltsam wirken, ein Kind, das einen Grashüpfer als „ Haustier“ hält. Doch hier auf den Philippinen ist das gar nicht mal so ungewöhnlich. Vor allem für Kinder aus ärmeren Verhältnissen schaffen sich, wenn es an Spielgefährten fehlt, auf kreative Weise ihre eigenen – und da ist der Grashüpfer zumindest für diesen Moment. Ich frage mich ernsthaft, wie sich das kleine Tier wohl fühlt, aber ehrlich gesagt, ist es wohl eher Nebensache in dieser Welt der kindlichen Fantasie. Da fällt mir ein, dass wir als Kinder auch nicht anders waren. Wir haben Maikäfer in Schuhkartons gesteckt, Molche und Kaulquappen in Einmachgläsern gehalten und uns nicht viel dabei gedacht. Nach ein paar Tagen waren die Tiere dann eben tot, aber wir waren einfach zu jung, um uns darüber allzu viele Gedanken zu machen.
Bei Kindern kann ich’s verstehen, dass der Tierschutzgedanke noch nicht so angekommen ist, bei Erwachsenen dagegen nicht. Heute Nachmittag soll am Mendoza-Park nämlich auch ein „Sabong“ stattfinden. So nennt man den tief in der philippinischen Tradition verwurzelten (und immer noch legalisierten) Hahnenkampf. Dabei treten speziell gezüchtete und trainierte Hähne gegeneinander an. Die Tiere tragen häufig scharfe Klingen (Tari) an den Füßen, was die Kämpfe besonders blutig macht. Das muss ich nicht sehen.
Wieder Mal am Hafen
Ich bin mal wieder am Hafen. Wegen des Feiertags sind die Lokale aber brechend voll, sodass ich weiter muss.
„Bahay Kubos“ und „Medical and Dental-Clinic“ in der Malvar Street
Da ich nicht nochmal am Mendoza Park vorbei will, nehm’ ich den Rückweg über die Malvar Street. Die verläuft praktisch parallel zur Rizal Avenue, nur eben 200 Meter weiter nördlich.
In deren westlichem Bereich sieht man etliche „Bahay Kubo“, die in traditioneller Bauweise erstellten, einfachen, wegen der Tier oder wegen Hochwassergefahr meist auf Stelzen errichteten Häuser bzw. Hütten. Diese trifft man überall auf dem Land an, habe ich gelesen. Die Häuser sind funktional und perfekt an die tropische Umgebung angepasst. Rund um das Haus finden sich bei den meisten Gemüsegärten, Obstbäume oder gar eine Wäschetrockenplatz …
Das Grundgerüst der Hütten besteht aus Hartholz oder Bambus, die Wände aus „sawali“, einem Geflecht leichten, gleichwohl aber robusten Bambusstreifen. Diese ermöglichen eine gute Belüftung. Die Dächer sind mit getrockneten Nipapalmen-Blättern gedeckt, die wiederum gut wärmeisolierend sind.
Ich bin überrascht, hier eine Zahnklink anzutreffen. Trotzdem strebe ich hier keine Behandlung an. Wenn ich mir dann die einfache Bauweise des Gebäudes betrachte, kann ich mir gut vorstellen, dass die Behandlung hier ganz anders abläuft als bei uns. Allein schon die Hygiene kann hier doch gar nie erreicht werden. Während bei uns mit moderner Technik gearbeitet wird, fehlt es hier vermutlich an allem: An gut ausgebildeten Zahnärzten, grundlegenden Materialien und an sterilen Instrumenten. Ich vermute sogar, dass die verfügbaren Behandlungen hier auf das Nötigste – wie schmerzhafte Zahnextraktionen – beschränkt sind und dass diese dann meist sogar ohne Betäubung durchgeführt werden.
Erneut weiter zum White Beach
Nach etwa einer halben Stunde macht die Malvar Street eine Biegung nach Norden, sodass ich, wen ich weitergehe, immer weiter von der Rizal Avenue weg komme, also geh ich in der Lacao Street wieder nach rechts, sodass ich direkt am „Kleinen Anker“ wieder in der Rizal Avenue rauskomme. Hier kenne ich mich wieder aus.
Links sind dann auch wieder die Island Divers, die mir am Montag als ich mit Jun im Tricycle hier vorbei fuhr (ist das echt schon drei Tage her?) auch schon aufgefallen sind.
Da es noch früh am Tag ist, gehe ich nochmal zum Flughafen, ‘ne Kleinigkeit essen und dann will ich hernach nochmal zu White Beach. Das hat mir gestern dort richtig gut gefallen. Hab vor, dort einfach nur zu faulenzen und mir später den Sonnenuntergang anzusehen.
Doch kaum dort, wird mir das Spiel gehörig vermasselt. Heute ist es nicht der Junge, der eine Eintrittskarte verkauft, sondern ein Insekt, das mich ins Bein gestochen hat. Der Stich blutet ziemlich und mir wird ganz schummerig. Nachdem ich den Stachel rausgezogen und die Wunde mit kaltem Wasser abgewaschen habe, geht’s mir dann wieder einigermaßen besser. Trotzdem mache ich mich auf den Rückweg. Bei jedem Schritt tun mir aber inzwischen mächtig die Lymphknoten in der Leiste weh.
Rudis Geheimtipp
Falls mir was passieren sollte, ist es wohl besser, wenn ich unter Leuten bin. Aus diesem Grund geh’ ich zuerst mal zu „Sheena’s“ und genehmig’ mir dort auf den Schreck einen Rum. Fast den ganzen Abend sitz’ ich nun schon in „Sheena’s kleiner Kneipe“, da stellt sich mir der echte Rudi vor. Der Fettsack gestern war nur ein dummer Laberer namens Herbert. Ihm gehört ein anderer Biergarten hier.
Rudi, der echte Besitzer des Sheena’s, scheint mir glaubwürdiger zu sein. Von ihm erhalt’ ich dann den Tipp, doch alles hier zu vergessen und Richtung Norden zum Underground River aufzubrechen und dort nach Rey Corea fragen. Während Rudi und Wilfried, ein weiterer Gast, in Männergesprächen vertieft sind, unterhalte ich mich mit einer charmanten jungen Philippina, etwa 20 Jahre alt. Ihr Name ist Rosi, und ihr strahlendes Lächeln macht es nahezu unmöglich, nicht mit ihr zu flirten.
Zwischendurch lausch’ ich Rudis Erzählungen, wie er von dem Taifun berichtet, der vergangene Woche über Palawan hinweg zog. Allein wie’s Rudi erzählt, lässt dir das Blut gefrieren. Manchmal ist man aber auch geneigt, lauthals loszulachen. Inzwischen hat der Service gewechselt und auch die neue Bedienung, Joy, himmelt mich mächtig an. Ich genieß’ das natürlich. Verlegen knabber’ ich an meinen Fingernägeln, woraufhin mir Joy, die mich keinen Moment aus den Augen lässt, Zahnstochern bringt.
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