Mittwoch, 7. Dezember 1988
Badjao Hotel, Puerto Princesa
Badjao Hotel, Puerto Princesa, 7:00 Uhr morgens. Wenn man dran denkt, dann ist es schon verrückt. Heute ist Nikolaustag, und hier hat es jetzt schon wieder über 35°C. Noch hab‘ ich nichts getan heute, und doch steht mir der Schweiß bereits wieder überall – und wie gesagt: Die Dusche ist kaputt, was meinen Aufenthalt hier sehr anstrengend macht. Es gibt auch kein anderes Zimmer, das ich bekommen könnte. Ich will zwar nicht den ganzen Tag hier verbringen, ich will einfach nur duschen. Ohne Brause bleibt mir aber nichts anderes übrig, als den Schweiß zu ertragen und auf eine Lösung zu hoffen.
Honda Bay und heiße Quellen
Nach dem Frühstück gegen halb neun kommt wie verabredet Jun. Wir wollen heute zur Honda Bay hinauffahren. Etwa 15 bis 20 Kilometer nördlich von Puerto Princesa soll es angeblich Erzminen geben. Jun hat mir davon erzählt und meinte, es wäre einen Abstecher wert. Wieder einmal nehmen wir das Tricycle und machen uns auf den Weg. Die Straßen sind in einem miserablen Zustand und voller Schlaglöcher. Das ständige Holpern und Rütteln ist auf Dauer ziemlich unangenehm, aber wir lassen uns nicht entmutigen.
Die Landschaft ist auf den ersten Blick faszinierend, doch an vielen Stellen auch erschreckend. Große Teile wirken regelrecht aufgerissen, als hätte jemand mit gewaltigen Maschinen in die Natur eingegriffen. Zerklüftete Böden, Erdaufschichtungen und braune Flächen ziehen sich durch die Umgebung. Es ist offensichtlich, dass hier früher einmal Erz abgebaut wurde, und die Spuren davon sind bis heute geblieben. Die Fahrt mag unbequem sein, doch die Eindrücke, die wir sammeln, machen sie in gewisser Weise lohnenswert.
Ich frage mich, ob die zerstörte Landschaft vom Erzabbau stammt? Denn dort, wo das Gras und die Vegetation verschwunden sind, schaut überall die leuchtend kupferrote Erde hervor. Die rote Farbe könnte Hämatit sein, ein Eisenerz, aber mir fällt auf, dass es hier keine Anzeichen für einen aktiven Abbau gibt.
Sieht mir eher aus wie eine verlassene „Goldgräber-Stadt“. Fünf Hütten, mehr nicht. Ich komm mir vor, wie am Ende der Welt. Kein Mensch weit und breit, nur im Schatten eines etwas besseren (vielleicht doch noch bewohnten Hauses) ein Schwein. Trotzdem reißt mich die „Geisterstadt“ nicht vom Hocker.
„Okay, wenn dir das nicht so zusagt, dann werden dir sicher die heißen Quellen gefallen!“ Gut, gehen wieder eben wieder zurück zum Tricycle. Während wir so durch die Geisterstadt laufen, mache ich mir so meine Gedanken über Jun. Heute sehe ich ihn nämlich schon in einem anderen Licht. Sollte er mich wieder übervorteilen oder in eine unangenehme Situation bringen, werde ich den Kontakt mit ihm endgültig abbrechen.
Auf der Suche nach den heißen Quellen von St. Lourdes
Auf einer Schotterpiste fahren wir „der Sonne entgehen“ also Richtung Westen. War die Gegend um Honda-Bay noch offen und völlig vegetationsfrei, sind hier nun. links und rechts des Weges niedrige Büsche. Da ändert sich 3 km lang auch nichts. Dann kommen wir an eine asphaltierte Straße, wo es links Richtung Puerto Princesa geht. Auf der Straße fahren wir etwa fünf Minuten, dann biegen wir an einer Gabelung rechts ab. Wegweiser gibt’s natürlich keine. Auf einer Beton-Platten-Straße geht’s weiter, bis wieder Häuser anfangen. „Tagburos“, sagt Jun. Ab und zu gibt es noch einzelne Häuser. Am Ende der Häuser beginnt dann ein Wald und unmittelbar danach geht’s rechts weg – ohne irgendwelche Hinweisschilder. Ohne Jun würd’ ich gar nicht wissen, wohin.
Das Areal links – mit dem großen Platz und den niedrigen Häusern drumrum – könnte irgendeine Schule zu sein. Dann ist der Ort zu Ende. Die Straße wird schlechter, die Bäume kommen immer näher an den Weg und links – auf einem gerodeten Platz – steht eine kleine weiße Kirche. Danach wird’s kriminell. Die Straße ist inzwischen nur noch eine Schotterpiste und etwa 2 m breit. Wo bringt mich Jun da hin? Da. wo wir jetzt fahren, das ist nun wirklich kein Weg mehr.
Jun stellt Jun sein Trike ab und wir beginnen – links in den Wald reingehend – nach den heißen Quellen zu suchen. Aber von Quellen weit und breit keine Spur – weder von heißen noch von kalten. Jun macht einen relativ hilflosen Eindruck. Ich glaub, der weiß auch nicht mehr, wo wir sind. Er schiebt’s ja auf Skip, den Taifun, der im November hier alles kaputt gemacht hat. „I haven’t the foggiest idea where we are! We’re utterly in the middle of nowhere!”, sagt er. Das seh’ ich auch so! Mit diesem Offenbarungseid hat er bei mir nun endgültig verspielt.
Ich will grad loslegen und was zu seiner „Fremdenführer-Kompetenz“ sagen, als er nachlegt, dass bei dem Taifun Skip allein auf Palawan über 70 Menschen ums Leben gekommen seien. Ja, er verstehts schon. Weil er selbst nicht weiter kommt, will er Hilfe holen in Tagburos. Mit bleibt nichts anderes übrig als mitzufahren. Allein würde ich mich hier nämlich gar nicht mehr zurechtfinden. In Tagburos spricht Jun eine Jungen an – Miró. Zusammen mit ihm geht’s dann zu dritt – wieder an der Kirche vorbei – zurück in den Wald und dann links, Quellen suchen.
Nach langem Suchen kommen wir schließlich an einen Weiher und danach tatsächlich auch an die „Heißen Quellen von Santa Lourdes“. Nach all den Strapazen und der Vorfreude fühlt sich das Ganze wie ein schlechter Scherz an. Da läuft also so’n Rinnsal aus dem Boden und plätschert badewasserwarm vor sich hin.
Schwefelgeruch oder gar Geysire, so wie man es aus den Filmen über den Yellowstone-Park (USA) kennt, das gibt’s hier nicht. Irgendwie hatte ich mehr Magie, mehr Drama, mehr „Wow!“ erwartet. Stattdessen ist es nur – na ja. Da hab’ ich meine Erwartungen wohl ein bisschen zu hoch geschraubt. Aber so, wie Jun es erzählt hat, klang das einfach zu fantastisch, um wahr zu sein. Langsam reicht es mir. Immer wieder diese großen Versprechungen, diese tollen Empfehlungen – und am Ende bleibt nichts als Enttäuschung. Jun, das war wieder mal ein Griff ins Klo.
Statt mir irgendwie zu helfen oder mir was Nützliches zu bringen, kostet er mich nur Geld und Nerven. Ich merke, wie sich langsam Frust und Wut in mir breitmacht. Es ist, als ob er sich nicht mal bewusst wäre, was er mit seinem Gerede anrichtet. Und ich? Ich steh jedes Mal da und frage mich, warum ich mich überhaupt auf ihn eingelassen habe.
Mehr oder weniger enttäuscht fahren wir wieder zurück nach Tagburos und liefern Miró dort ab, wo wir ihn vor etwa einer Stunde aufgelesen haben. Ich drück ihm einen Peso in die Hand und der Knirps strahlt übers ganze Gesicht. Er kann ja nichts für Jun.
Bei der Hebamme von Puerto Princesa
Danach fahren wir wieder runter Richtung Puerto Princesa. Jun will mich mir seine Frau vorstellen. Die Naragas wohnen etwa 1½ km westlich des Flughafens von Puerto Princesa in einer einfachen, eingeschossigen Hütte mit einem kleinen Gemüsegärtchen drumrum. Als wir ankommen, werde ich doch etwas scheu beäugt. Hab’ nicht den Eindruck, als ob ich sehr willkommen bin; aber wer weiß, was Macho Jun alles über mich erzählt hat. In der Hütte ist es relativ gemütlich. Was ich allerdings vermisse, sind Holzmöbel. Stattdessen sind die Möbel hier aus Rattan und eine ganze Menge Zeug ist auch aus Plastik. Dazuhin sieht man überall ‘ne Riesenmenge Kitsch, g’rad’ so wie wir’s in den 60er Jahren von Rummelplätzen und Schießbuden mit nach Hause gebracht hatten: Puppen, Plastikblumen und, und, und … Aber auch eines fehlt auf den Philippinen nicht – die Glotze!
Während des Kaffees legt sich die anfängliche Reserviertheit, und wir kommen allmählich ins Plaudern. Juns Frau erzählt mir – nachdem ich sie auf das im Wohnzimmer aufgehängte Diplom angesprochen habe – von ihrem Job im Krankenhaus. Serita ist eine der Hebammen in Puerto. Insgesamt sind sie zu viert, verteilt auf zwei Krankenhäuser.
Die Informationen sind recht interessant für mich. So erfahr’ ich auch, dass in Puerto täglich rund fünf bis sechs Babys geboren werden. Mir kommt das unheimlich viel vor. Das wären ja an die 2000 Kinder pro Jahr. Serita bestätigt das. Andererseits betont sie, dass auf den Philippinen eine unheimlich hohe Säuglingssterblichkeit herrsche, sodass von den 2000 fast 100 das erste Jahr gar nicht überleben. Für Serita ist das Routine, mich macht das schon etwas nachdenklich, was da so abläuft.
Während ich interessiert zuhöre, spielt Junior Naraga (3) mit seinem Tret-Plastik-Trecker. Grad’ so wie‘s Kinder auch bei uns tun. Hab’ nicht den Eindruck, dass Kindheit hier anders ist als in Deutschland oder dass Junior hier irgendwas fehlt.
Das war jetzt – nach dem Besuch am Montag bei Jane – jetzt schon der zweite Privatbesuch auf den Philippinen. War höchst interessant und spannend – aber hier wohnen möcht’ ich wohl besser doch nicht.
Wechsel der Unterkunft
Nach dem Besuch bei Juns Familie ziehe ich weiter. Ich habe vor, im „Badjao Inn“ auszuziehen. Die kaputte Dusche nervt. Ich lauf’ jetzt erst mal die Lacao-Street runter und dann durch die Rizal Avenue (das ist die Hauptstraße, die Puerto Princesa von Ost nach West durchzieht). Vielleicht find’ ich bei der Gelegenheit ja auch ein passendes Hotel. Das „Princess“ soll so nicht schlecht sein, und da wollt“ ich ja ohnehin schon von Anfang an hin – wenn der Jun nicht dazwischen gekommen wär’. Zum Glück hab ich heute nur die Kamera dabei und nicht den schweren Rucksack. Der steht noch immer im „Badjao Inn“.
Die Straße führt nur knapp 1 km westlich des Touch Down Punktes des Flughafens vorbei. Es ist schon beeindruckend, wenn die doch riesigen Verkehrsflugzeuge in knapp 100 Meter Höhe über deinen Kopf hinwegfliegen. Aber mehr als diese eine Maschine scheint in der nächsten Zeit nicht zu kommen. Wahrscheinlich ist es sogar die gleiche Maschine, mit der ich gestern hier angekommen bin. Die Zeit könnte passen. An der Rizal Avenue ist auch das Puerto Princesa Tourist Office. Das hat zwar nicht geöffnet, aber ein netter älterer Herr, der den Rasen mäht, kennt das das „Princess“. Das sei früher das „Emerald Place“ gewesen und sei ganz leicht zu finden. „Wieder Richtung Flughafen und dann bei der Schule links.“
‘Ne halbe Stunde später bin ich dort. Das „Princess“ macht einen tollen Eindruck, die Zimmer sind herrlich und – vor allem – die Duschen funktionieren. Das wird dann ab heute Abend mein neues Zuhause. Darauf freu’ ich mich schon riesig drauf. Nicht zuletzt wegen der Dusche.
Flucht aus dem „Badjao-Inn“
Nachdem ich im „Princess“ eingecheckt habe, gehe ich zurück ins „Badjao-Inn“, meinen Rucksack holen. Und da sehe ich erneut, wo ich gelandet bin: Kaputte Dusche und schummriges Lichtkenne ich ja schon und jetzt muss ich auch noch Kakerlaken fangen. Und wer hat mir das alles eingebrockt? – Jun.
Ich weiß nicht warum, aber irgendwie kommt mir der Vergleich „Kakerlake – Jun“. Beide ungebeten, zäh und schwer loszuwerden.
Ich erinnere mich, wie er gestern da stand mit seinem gewinnenden Lächeln. Von Anfang an – noch bevor ich den Flughafen richtig verlassen hatte, hatte er mich im Griff. Das „Badjao-Inn“ hat er gesagt, das sei’s. Und was ist dran? Kaputte Dusche und Kakerlaken!
Dann gestern Abend, das gemeinsame Essen. Ich zahlte nicht nur die Tricycle-Fahrt, sondern auch alles, was er verdrückte. Dafür erzählte er mir Stories, wie heute z.B. Er sprach von den „Insel-Highlights“. Und was war? Frust statt Faszination.
Als Krönung hat er mich dann zu sich nach Hause eingeladen. Das mag auf den ersten Blick auch rührend erscheinen, aber auch das fühlte sich für mich wie eine schon mehrfach durchgespielte Inszenierung an. Damit ist jetzt Schluss!
Ich lasse jetzt alle Kakerlaken hinter mir und ziehe ins „Princess-Hotel“. Dabei muss ich bloß aufpassen, dass Jun nicht herausfindet, wo ich bin. Ich will Palawan endlich auf meine Weise erleben – ohne ihn, ohne Parasiten und ohne Tricks.
Chaotischer Abend
Ich mach mich also auf Richtung „Princess“. Kaum unterwegs treff ich in der Valencia Street ein junge Deutsche, ein Paar aus Augsburg.
Wir reden über dies und das und was wir alles noch so vorhaben. Für sie ist der Urlaub auf den Philippinen am Wochenende schon wieder vorüber. Danach wollen sie weiter nach Thailand. Im Verlauf des Gespräches kommen wir dann auch auf unsere Quartiere zu sprechen. Ich erzähl ihnen, dass ich bis eben im „Badjao“ war und mich vorhin im „Princess“ einquartiert habe. Die beiden trifft fast der Schlag. „Das ist doch wahnsinnig teuer.“
Sie wohnen im „Duchess“, einer preiswertenkleinen Pension, in der das Zimmer nur 7 Mark kostet. Ein Viertel von dem, was ich im „Badjao“ gezahlt hab’, und dort hat noch nicht mal die Dusche funktioniert! Das wär sicher auch was für mich. Allerdings sollte ich bis morgen schon noch bleiben im „Princess“. Ich bring meinen Rucksack ins „Princess“ und mach mich dann sogleich auf ins „Duchess“.
Die Oma im „Duchess“ heißt Edwyna Monsante und ist unheimlich nett. Wir unterhalten uns über Deutschland, und sie kommt ins Schwärmen. Von meinen Fotos, die ich vorsorglich zum Verteilen mitgenommen hab’, schenk’ ich ihr eins mit einem Schwarzwaldhaus d’rauf. Sie ist ganz happy. Wir verstehen uns prächtig. Kurz darauf zerren ihre Enkel einen Wurf Hundebabys daher, die knapp eine Woche alt sind und unheimlich drollig, von deren Mutter sehe ich allerdings nichts.
Ich könnte gleich einziehen, erzähl ihr aber dann, das sich eben erst im „Princess“ eingecheckt habe. Nachdem sie mich jetzt kennt und die Sache mit dem Zimmer ab morgen perfekt ist, geh’ ich wieder zurück ins „Princess“.
Wie gut es tut, endlich wieder duschen zu können. Doch so richtig genießen kann’ ich’s auch heute nicht. Mein Genick brennt wie Feuer. Ich hab’ mir einen Sonnenbrand eingefangen, der aber so was von „von“ ist. Frisch geduscht geht’s im Restaurant des „Princess“ erst mal zum Essen. Es gibt „Lapu-Lapu“, einen auf den Philippinen heimischen, roten Zackenbarsch (So ein Fisch lag gestern, als ich mit Jun im Hafen essen war, nur vor dem Restaurant in einem Eiskübel) .
… geh’n sie mal in den „Kleinen Anker“
Nachdem ich endlich ein schönes Quartier hab und auch der Bauch voll ist’, gehe ich noch etwas unter die Leute. An der Ecke Rizal-Avenue/Lacao-Street entdecke ich den „Kleinen Anker“. Die Adresse hab’ ich – wie schon so vieles – aus meinem „Jens Peters“.
Der „Kleine Anker“ ist eine Kellerkneipe, in der ein von oben bis unten tätowierter, grau gelockter Kerl mit Zahnlücken hinterm Tresen steht. Der Typ heißt Achim. Er sei vor Jahren von Hamburg hergekommen und habe mit Honey, seiner philippinischen Frau, die Spelunke aufgemacht. Sie ist Treffpunkt vieler Deutscher, die in Puerto Princesa eine neue Existenz aufgebaut haben, meist verkrachte Existenzen, denen man in Deutschland wohl besser aus dem Weg gehen würde. Vorm Tresen beispielsweise hockt ein gewisser Horst Schmidt, ebenfalls mit einer Philippina im Arm. Rechts neben den beiden sitzt ein kleiner Dicker mit einem fast viereckigen kahlen Schädel. Der Typ stellt sich als Klaus vor. Er sagt, er sei vor mehr als zehn Jahren aus Neustadt / Weinstraße hierhergekommen. Die Begegnung mit einem neuen deutschen Aussteiger ist Anlass genug für die Kerle, wie vermutlich oft schon, eine Runde nach der andern auszugeben. Prost und Hauruck. So geht es in die Nacht.
Schwoba onder sich
Horst hat die Birne schon gestrichen voll und bestellt „zum Aufsaugen“ ein paar Bratkartoffeln, etwas, das auf den Philippinen wohl nicht gerade alltäglich ist. Doch als Achim die Kartoffeln nach zehn Minuten bringt, liegt Horst schon am Boden. Zwei weitere Gläser Rum sind ihm dazwischen gekommen. Als Horst wieder zu sich kommt, ist es 22:00 Uhr und immer noch 36° C heiß. Dann kommt es zu folgender Unterhaltung:
Horst: „Wo kommsch Du her? Aus Stuttgart?“
Er haut’ sich auf die Schenkel und flippt aus.
„Fucking Dear Friend, Achim, hast’s g’hört, wo der her isch, hast’s g’hört?“
Ich: „Wo bisch Du denn her?“
Horst: „Aus Lorch, 40 km östlich von Stuttgart. Kensch des?“
Ich: „Warom soll I Lorch net kenne? Wenn ich von Welzheim aus d’s Walkersbacher Tal runterfahr’, no kommt’s doch glei rechts“‘
Jetzt rastet Horst total aus.
Horst: „Kensch Du dann au Breitenfürst?“
Ich: „Klar kenn’ ich Breitenfürst!“
Horst: „D’ Albrecht?“
Ich: „Ehinger?“
Horst: „Ich werd’ wahnsinnig, ich werd’ wahnsinnig. Achim, zwei Rum!“
Von allem unbeeindruckt zwitschert Klaus ruhig und gelassen ein Bier nach dem andern. Das einzige Geräusch, das auf ihn aufmerksam macht ist jenes, das entsteht, wenn sein Glas leer ist und er damit rhythmisch so lange auf den Tisch klopft, bis es wieder vollgemacht ist. Um nicht allein trinken zu müssen, gibt er bei jedem Glas eine Runde aus.
So wird es später und später und die Hummeln im Kopf werden immer mehr. Ich kann nicht mehr trinken und bestell’ mir stattdessen ein belegtes Brötchen. Der Wunsch nach dem Brötchen verursacht bei Achim einen Lachkrampf. Ich versteh’s zwar nicht, aber mir bleibt nichts übrig, als mitzulachen.
Um halb 12 macht Achim dicht und Klaus, seine Filipina und ich nehmen ein Trike nach Hause. Wir wohnen im gleichen Hotel. Stockbesoffen hocken wir drei und der Fahrer in zusammengekauerter Stellung auf dem umgebauten Moped. Bei jedem Schlagloch haut’s meinen ach so gequälten Schädel gegen das metallene Dach. Der Sonnenbrand auf meiner Platte macht diese Berührungen auch nicht erträglicher. Die Fahrt wird zur Qual.
Wir sind im „Princess“ angekommen. Die Filipina zahlt. Für uns alle 3 ₱. Ich hab’ für den gleichen Weg heute Mittag alleine 20 ₱ bezahlt. In der Halle will Klaus noch unbedingt, dass ich mit ihm auf sein Zimmer komme. Er meint, er müsste noch ein Bier aufmachen. In seinem Zimmer liegen im Doppelbett vier kleine Philos quer übereinander. Stolz erzählt er mir, das seien seine Kinder. Die Filipina, die uns begleitet hat, sei seine Frau. Während sie uns mit weiteren Getränken versorgt, erzählen Klaus und ich von Dahn und Deidesheim, von Dürkheim, vom Wurstmarkt und der Pfalz. Klaus zeigt mir seine Bilder, ich zeig’ ihm meine. Bei Binas Bild kommt er ins Schwärmen. Die tät’ ihm schon gefallen, meint er.
Gegen zwei Uhr morgens verlass’ ich die Familie, nicht ohne Klaus noch ein deutschsprachiges Micky Maus zu schenken, das ich noch von Zürich dabei habe und das ohnehin nur Ballast ist in meiner Fototasche. Der 60-jährige kriegt kugelrunde Kinderaugen und ich glaube, gleich flennt er los. Besser, ich geh’ jetzt rüber in mein eigenes Zimmer.
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