Dienstag, 6. Dezember 1988
Ankunft in einer neuen Welt
Als ich die Treppe vom Flugzeug hinuntersteige, schlägt mich die Hitze und die Luftfeuchtigkeit fast zusammen. Gegenüber Manila ist das hier die reinste Sauna. Noch stehen wir alle am Rollfeld rum und warten auf unser Gepäck. Dieses wird von fleißigen Händen emsig auf kleine Gepäckwägelchen aufgeladen, zum Terminal gekarrt und dort in einem Käfig auf dem Boden ausgebreitet. Immer zwei oder drei von uns dürfen in den Käfig rein und dort ihre Siebensachen suchen. Muss aussehen wie bei ‘ner Goldhamster-Invasion.
Endlich hab’ ich auch das eigentlich recht formlos hinter mich gebracht und verlasse vollbepackt das „Flughafengebäude“. Vor mir ein riesiger, teils staubiger, teils betonierter Platz, auf dem Kinder im Schatten von Meerrettich-Bäumen Basketball spielen. Am kleinen Weg zwischen „Flughafengebäude“ und Platz stehen fein säuberlich nebeneinander aufgereiht unzählige Tricycles.
Erste Begegnungen und Unterkunft
Kaum bin ich draußen, macht mich auch schon einer der Kerle an. Ich bin heut’ zu ‘nem Spielchen aufgelegt, deshalb lass’ ich mich mit dem Typen ein. Der Typ, ein Einheimischer, knapp 30 Jahre alt, nennt sich Jun. Seinen Lebensunterhalt verdient er als Fremdenführer, sagt er. Außerdem ist er Tricycle-Fahrer. Sein Tricycle heißt „Reinhard Glenn“. Die Tricycles haben übrigens alle Namen.
Dieser Jun meint nun, ich solle nicht in das von mir ausgesuchte Hotel gehen, sondern besser ins „Badjao Inn“. Sei wesentlich billiger, schöner und, und, und … Er würde mich auch hinfahren. Nun ja, mir ist’s schließlich piep egal, wo ich heut nächtige. So lad’ ich also meinen Rucksack auf den Gepäckträger und ab geht’s. Das Tricycle knattert und kracht, und die eingebaute 125er Kawa gibt alles. Wir fahren die Rizal Avenue hinunter, vorbei an Bambushütten, Ziegen, Hühnern, Hunden und Katzen.
Eine Hütte fällt mir besonders auf: Das Haus der Island Divers – ein charmantes Gebäude mit kunstvoll geflochtenen Wänden und einem Dach aus dichtem Schilf. Nach ca. 1 km kommen wir am Hotel an. Inzwischen aber tropft auch schon aus allen Poren der Schweiß.
Badjao Inn
Das Hotel macht auf den ersten Blick einen ganz passablen Eindruck und der Garten hinter dem Haus ist ein echtes Highlight. Tropenflair pur! Mitten zwischen leuchtend roten und gelben Blüten steht ein kleiner Pavillon. Dort gönne ich mir zur Einstimmung erst einmal ein kühles Bier.
Nachdem ich jetzt auch hirnmäßig angekommen bin, bezieh’ ich mein Zimmer. Sieht nett aus, doch beim Duschen erleb’ ich die erste Pleite. Aus der Brause kommt außer heißer Luft nämlich nichts. Aber, was soll’s? Schließlich soll’s ein Abenteuer-Urlaub werden und im Vergleich zum teuren „Kanumayan“ von gestern ist es hier deutlich günstiger. Also wasche ich mich und meine Kleidung eben kurzerhand im Handwaschbecken und mache es mir anschließend auf der Matratze bequem.
Kulinarische Erlebnisse und Kultur
Freddie Aguilar
Vorhin im Flughafen und auch jetzt auf Juns Tricycle plärrt ein Lied aus allen Transistors. Jun sagt, das sei Freddie Aguillar, der Sänger schlechthin sei auf den Philippinen. Im Lied „Estudyante Blues“ beschreibt Aguilar den Frust eines Studenten, der eigentlich Freiheit und Selbstverwirklichung sucht, von seinen Eltern und den gesellschaftlichen Zwängen aber unter Druck gesetzt wird.
Ich, wenn ich kein Wort Tagalog spreche, kommt die Frustration, die Sehnsucht und die Rebellion rüber. Die Authentizität und Tiefe, mit der Aguilar singt, geht direkt das Herz an und lässt dich die Botschaft nicht sprachlich, sondern emotional spüren. Das Band muss ich haben.
Gegen halb acht kommt Jun. Wir hatten uns verabredet, weil er mir ein Fischrestaurant am Hafen zeigen will. Unterwegs im Tricycle bitte ich ihn, wenn möglich, an einem „Sound-Store“ vorbeizufahren, weil ich unbedingt die Musik von Freddie Aguilar haben muss. Für umgerechnet 4,00 DM kaufe ich mir eine Tonbandkassette – die werde ich mir heute Abend gönnen. Darauf freue ich mich schon! Wie, fragt ihr euch? Ganz einfach: Ich habe meinen Sony WM-DC 6 dabei, um unterwegs Tonaufnahmen zu machen. Natürlich geht damit auch Cassetten-Abspielen.
Nach kurzer Fahrt landen wir am Hafen, wo wir frischen Fisch essen. Die Waitress macht ein besorgtes Gesicht. Wird mich dieser Jun bescheißen? Warten wir’s ab. Die Sorge war umsonst: Wir bekommen einen Samaral aufgetischt, etwas, das ich in dieser ausnehmenden Klasse noch nirgendwo gegessen hab’. Jun hat den Samaral heute Mittag für uns vorbestellt. Im Wesentlichen ist das nichts weiter als ein ca. 30 cm langer gegrillter Fisch, gewürzt mit Salz, Pfeffer und Soy-Sauce. Von den Zutaten her eigentlich nichts Besonderes. Aber wie das alles harmoniert einfach fantastisch. Da kann man sich so richtig wohl fühlen. Da ist mir der Preis egal. Allerdings bin ich überrascht, dass Jun so selbstverständlich davon ausgeht, dass ich nicht nur sein Essen, sondern auch seine Getränke sowie die Fahrt mit dem Tricycle übernehme. Ein kurzer Blick auf die Rechnung macht mir jedoch klar, dass der Betrag weit über das hinausgeht, was ich erwartet hatte. Aber vielleicht gehört es hier einfach dazu, dass man großzügig ist – zumindest scheint Jun das so zu sehen.
Das mit dem Bezahlen geht gerade so weiter. Nach dem Mahl fahren wir ins Kamayan Folk House, wo man auf einer Terrasse der Folk-Musik lauschen kann, pur, live und perfekt. Es ist jetzt neun Uhr abends. Beim Slow Fox und den Christmas Songs bin ich nahe am Heulen. Da fehlt mir meine Freundin von zu Hause schon gewaltig. Die Hitze zwingt mich zu trinken. Aber auch nach weiteren 2 San Miguel und 3 Colas (Wasser will ich hier einfach nicht trinken) ist es keinen Deut besser. Auch hier ist es offenbar selbstverständlich, dass ich zahle. Ich frage mich nur, ob das jetzt an Jun liegt oder ob das auf den Philippinen so üblich ist – die stille Erwartung, dass der Gast immer für alles aufkommt. Ich bin mir langsam nicht mehr sicher, wie lange ich das noch so hinnehme.
Frust und Missverständnisse
Jun ist inzwischen nach Hause gefahren. Es ist jetzt 23:00 Uhr und immer noch brütend heiß. Auf dem Weg ins „Badjao Inn“ beschließe ich, in einer Bar noch schnell etwas zu trinken (ansonsten kann man hier bei der Hitze wirklich nicht schlafen). Doch kaum sitze ich da, werden mir statt einer kühlen Blonden, die ich eigentlich bestellt hatte, plötzlich zwei Mädchen – dunkle Haare, Mandelaugen – angeboten. Das geht ja schon mal gar nicht! Ich bin total gefrustet, mehr als je zuvor. Vorhin der Jun und jetzt das hier. Ich kann nicht anders, ich geh’.
Puerto Princesa ist zwar recht schön und die Landschaft beeindruckend, aber dieses ständige, aufgesetzten Lächeln und die unterschwellige Hinterlistigkeit derer, die ich bisher getroffen habe, machen mich richtig wütend.
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