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Sonntag, 4. Dezember 1988


Erste Eindrücke von Manila


Flagge der Philippinen

Heute ist Sonntag, 4. Dezember 1988. Ich hab’ geschlafen wie noch nie. Von der Schwüle und Hitze gelähmt, steh’ ich langsam auf. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich in Asien aufgewacht. Was wird mich hier wohl noch erwarten in den nächsten sechs Wochen? Hab’ ich mich richtig vorbereitet? Ist Bärbel noch da, wenn ich wieder nach Hause komme? Komm’ ich überhaupt jemals wieder nach Hause? Fragen über Fragen. Alles ist so neu und aufregend, aber auch irgendwie beängstigend.

Pennsylvania Coffee Shop

Jetzt aber bin ich erst mal in Manila, und weil Sonntag ist, beginn’ ich den Tag mit Duschen, Haare waschen, usw. Das tut nur noch gut. Aah!!!

Fein gemacht für meinen ersten Trip ins fremde Land geht’s nach unten. Nach einem, auch für europäische Verhältnisse, doch recht teuren Frühstück (60,40 ₱ = 5,00 DM) im Pennsylvania Coffee Shop des „Kanumayan Tourist Inn“, das überraschend gut war, lauf’ ich zuerst die Leon Guinto-Street entlang und dann zur Taft Avenue. Na ja, beste Wohngegend scheint das hier ja wohl nicht zu sein. Die Gegend wirkt eher abgenutzt. Was weiter auffällt, sind die unwahrscheinlich hohen Bordsteine und dass hier und da mal ein Loch im Gehweg ist, wo man unten in die Kanalisation reinsehen kann. Es riecht irgendwie nach Abgasen und Frischgebackenem, was mir das Gefühl gibt, in einer anderen Welt zu sein. Über mir hängen die Stromleitungen kreuz und quer in der Gegend rum, als wären sie zufällig dort hingeworfen worden. Da wohn’ ich also.

Mein Geld trag’ ich – man weiß ja nie – in einem Ledergürtel direkt um den Bauch gebunden. Das ist wahrlich kein Vergnügen bei dieser Hitze. Die Sonne brennt herab auf die Stadt, und es stinkt bestialisch. Gestern Abend, als es dunkel war, war ja noch alles einigermaßen erträglich, aber jetzt, im gleißenden Licht der Sonne sieht man überdeutlich, wo’s auf den Philippinen langgeht.

Die Situation mach mich schon traurig. Ich weiß nicht recht, was ich machen soll. Eben noch hab’ ich mir ein Frühstück reingeklotzt, das sich „von“ schrieb und jetzt das hier. Ich hab’ gelesen, dass es wenig Sinn macht, beispielsweise den Bettlern was zu geben. Denn hinter diesen stünden oft organisierte Banden, die dann abkassieren.

Zu Fuß zum Rizal-Park

Das also sind meine ersten Eindrücke von einer asiatischen Stadt. Fast beiläufig fällt mir auf, dass sich hier alle wie ich gestern Abend auch schon gegen den Dreck und Smog Taschentücher vors Gesicht halten, sofern sie sich eins leisten können. Der smogige Nebel hängt schwer in der Luft, und es fühlt sich an, als ob die Stadt niemals richtig atmen kann. Ich sehe viele Uniformierte und denk’ mir, dass es Polizisten sind. Erst viel später werd’ ich erfahren, dass ich mich in dieser Sache geirrt hab’. Es handelt sich um sogenannte „Private Security Guards“, die sich die Reichen leisten, um ihre Ruhe zu haben.

Rizal Park und Intramuros


Mit flachem Atem gehe ich weiter nach Norden und erreiche nach ca. einer halben Stunde den Rizal Park im Zentrum der Stadt. Für einige Momente kann man hier den Gestank und das Elend dieser Großstadt vergessen. Blumen, Springbrunnen, großzügige Grünanlagen und natürlich ‘ne Menge Musik locken die Filipinos und die Touristen zu einem unbeschwerten Bummel.

Wenn man es schafft, die vielen Fotografen abzuwimmeln, die für ein paar Dollars Touristen ablichten wollen, dann kann man im Westen des Parks die Wachablösungen am Rizal-Denkmal bestaunen. Das Denkmal soll an jener Stelle erbaut sein, an dem Dr. Jose Rizal am 30. Dezember 1896 von den Spaniern hingerichtet wurde.

Unterhalb des Denkmals ist auf Messingplatten in vielen Sprachen sein Abschiedsgedicht „Mi Ultimo Adios“ (Mein letztes Lebewohl) zu lesen. Rizal soll es am Vorabend seiner Exekution in der Todeszelle geschrieben haben.

Lebewohl, geliebtes Vaterland, du Kind der Sonne, Perle des östlichen Meeres, verlorenes Paradies.
Mit Freuden schenke ich dir mein trauriges betrübtes Leben.
Und wenn es auch strahlender, frischer und blühender wäre, um dir zu dienen, hätte ich es gegeben.
Sollte irgendwann auf meinem Grab / in dichtem Gras eine schlichte Blume blühen, führe sie an deine Lippen und küsse meine Seele.
Und ich werde unter kalter Erde auf meiner Stirn den Hauch deiner Zärtlichkeit, den Hauch deiner Wärme spüren.

Geht man im Park nach Süden, gibt es dort neben dem Ministry of Tourism eine Rollschuhbahn mit einer großen Erdkugel in der Mitte, dazu ein topographisches Modell der Philippinen und einen Kinderspielplatz mit riesigen Steinfiguren. Im Norden des Parks schließen der Chinese und der Japanese Garden den Park ab.

Zu Fuß nach Intramuros

Am westlichen Ausgang des Parks gehe ich raus und laufe rechts eine riesige, asphaltierte Straße hinunter, den Roxas Boulevard. An einer gewaltigen Festungsanlage biege ich dann von der Hauptstraße ab und gehe gegenüber dem Südhafen durch das „Puerta St. Lucia“, nach Intramuros, das Bollwerk der spanischen Eroberer. Intramuros ist, ebenso wie Chinatown daneben, ziemlich heruntergekommen und droht zu verfallen. Dass alles so verkommt hätte sich Legazpi sicher nicht träumen lassen, als er hier im Jahr 1571 nach seinem Sieg über die Moslems, an der Mündung des Pasig-River, die Festung errichtet hat.

Attacken der chinesischen Flotte und ein Großbrand haben die Philippinos später gezwungen, noch eine weitere Schutzmauer und einen Wassergraben zu bauen. Das Bollwerk war komplett. Innerhalb dieses Bollwerks entstanden zahlreiche feudale Herrschaftshäuser, zwölf Kirchen und mehrere Hospitäler. Gelebt haben in der „Stadt in Mauern“ allerdings nur Spanier und Mestizen. Die Philippinos lebten eine Kanonenkugel südlich da, wo sich heute der Rizal Park befindet. Ebenfalls in Reichweite der Kanonen hat man die Chinesen hin quartiert, etwa an jene Stelle, an der heute die City Hall steht.

Weder die Holländer noch die Portugiesen konnten die Festung einnehmen. Auch die Angriffe der Sulu-Piraten blieben ohne Erfolg. Völlig zerstört wurde Intramuros dagegen durch die Bombenangriffe während des zweiten Weltkriegs. Wie durch ein Wunder blieb aber die San Augustin Church vom Krieg verschont, wohingegen die zerstörte Manila Cathedral erst nach dem Krieg wieder neu errichtet werden konnte.

Nach so viel Einblick in die philippinische Vergangenheit verlass ich nun Intramuros Richtung Osten und wende mich der Neuzeit zu. Ich bin nun im „Central Terminal“ der Manila Light Train. Man hat hier versuchsweise eine Art S-Bahn gebaut, die in einer einzigen Linie den Süden Manilas mit dem Norden verbindet. Die Endstation im Norden heißt „Monumento“, den Namen der Station im Süden hab ich vergessen. Die Fahrt kostet, egal wohin man fährt, einheitlich 3 ₱. Um sicher zu sein und klar zu kommen befrage ich die uniformierten Security Guards, die mir immer sehr bereitwillig helfen.

Begegnung mit Jane


Auf dem Weg zu Jane

Ich nehm’ den Zug Richtung Norden. Will versuchen, meine Brieffreundin Jane zu finden, die irgendwo im nördlichen Manila wohne muss. Gegen halb zwölf erreichen wir die Station „5th Avenue“. Instinktiv hab’ ich das Gefühl, hier irgendwo muss es sein. Ich steige aus und gehe ein paar Schritte Richtung Westen. Die Straßen sind laut, voller Menschen. Der Schweiß trieft mir von der Stirn und läuft mir in die Augen. Der Riemen der Fototasche schneidet mir in die Schulter, und ich spüre, wie meine Laune langsam schwindet. Die Luft ist drückend, und ich frage mich, wie Jane diesen Ort wohl wahrnimmt.

Da vorne hat ein Laden geöffnet und ich entscheide mich für etwas zu trinken. In eklig dreckigen Flaschen gibt es Pepsi Cola. Pepsi Cola kenne ich von zuhause. Für dreieinhalb ₱ kauf’ ich mir eine Flasche, setze an und die Brühe verdampft, bevor ich sie ausgetrunken habe.

Nach langem Suchen habe ich das Haus gefunden, in dem Jane wohnen müsste. Als ich frage, erhalte ich keine klaren Auskünfte. Niemand scheint Jane zu kennen. Auch finde ich keinen Eingang. Der ganze Block ist mit Brettern vernagelt. Endlich, nachdem ich ein paarmal um den Block gestreunt bin, hab ich einen passenden Hauseingang gefunden. Doch drin bin ich noch lange nicht.

Ein bewaffneter Security Guard sitz am Hoftor und hindert mich am Eintreten. Er ist privat hier angestellt. Familie Uy sei in Urlaub, meint er.

Tagebucheintrag vom 4.12.1988

Ich beschließe, trotzdem zu warten. Schließlich hab ich vorgestern mit Jane telefoniert und da war sie sehr lebendig und vor allem: Sie war da. So setze ich mich neben den Guard und warte. Wir sitzen lange, ohne auch nur ein Wort zu wechseln. Im Hof läuft eine abgemagerte grau-braune Katze. Der Guard lässt mich, und alles um uns herum, nicht aus den Augen. Es ist fast, als ob er mich beobachte, dass ich ja keine Unruhe stifte. Erneut meint er, Familie Uy sei in Urlaub und komme lange nicht mehr zurück. Ich sage, dass ich viel Zeit habe und dass ich warten möchte.

Nach einer halben Stunde möchte er essen und fragt, ob ich nicht besser gehen wolle. „Komm’ doch morgen wieder“, meint er. Ich entgegne, morgen sei weit, ich wolle doch lieber heute warten. Entnervt gibt der Philo auf. Er hat keine Chance, mich los zu werden.

Der Guard sitz auf einem wackligen, aus Bambusrohr zusammengebundenem Stuhl. Seine Beine stecken in ausgetretenen Badelatschen, bis zu den Knöcheln im Dreck. Sein Essen wird ihm in einem Blechnapf gereicht. Gegen die Fliegen hat er einen zweiten, etwas größeren Blechnapf umgekehrt darüber gestülpt. Ab und zu nimmt er ihn weg und greift mit der Hand in die Pampe. Schmatzend führt er sie zum Mund.

Etliche Menschen kommen im Lauf des Mahls durch das Tor. Der Guard kontrolliert sie, die Besucher kontrollieren den fremden „Joe“ und manche fragen nach Geschenken. Ich habe nichts. Um meine Beine schmust eine halbverhungerte Katze.

Nachdem ich nun schon Stunden hier sitze, frage ich mich, ob ich überhaupt richtig und noch ganz normal bin. Neben dem Guard sitzend, schaue ich ihm beim Essen zu und frage in typischer Loriot-Manier: Schmeckt’s?“ Langsam wird dem Guard meine Penetranz offenbar zu dumm. Loriot hat auch ihn geschafft. Mit seinen dreckigen Fingern greift er nach einem ebenso dreckigen Telefon. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass sich hier alles im Freien abspielt und der Staub alles und jeden mit einem braunen Schleier überzogen hat.

Was hat er jetzt bloß mit dem Telefon gemacht? Hat er meinetwegen irgendwo angerufen? Ich frag’ nochmals nach. Da wird er zornig und versucht, mich endgültig loszuwerden. Ich meine, es müsse doch irgendjemand im Haus sein. Doch der Guard meint, es sei nur einer da vom Personal. „Das ist doch was“, sage ich, und bestehe darauf, dann eben den Typen vom Personal zu sprechen. Doch der Security hat seine Order und ich das Nachsehen.

Jetzt fährt ein Wagen vor. Eine junge Frau und ein junger Mann steigen aus. Die Frau macht einen netten Eindruck. Allem Anschein nach, zumindest danach zu urteilen, wie sie vom Guard begrüßt wurde, ist diese Frau die Herrin des Hauses. Sie begrüßt mich freundlich, doch ich hab’ den Eindruck, sie versucht, mich höflich auch gleich wieder loszuwerden. Die Frau ist – wie ich später erst herausgefunden habe – Jane. Sie bittet mich zu sich ins Haus. Ganz wohl ist’s mir dabei jedoch nicht.

Wir fahren in einem kriminellen Aufzug nach oben. Was sich dann anschließt, ist eine richtige Prozedur: Die Eingangstür zur Wohnung ist nämlich mit geschätzt „zwanzig“ Schlössern gesichert. Vor irgendwas müssen die Sau-Angst haben.

Nun sitze ich zum ersten Mal in einer philippinischen Privatwohnung. Meine Augen mustern den Raum. Wir nehmen Platz auf einer Sitzecke. Links neben uns steht ein buddhistischer Altar. Ansonsten ist der Raum leer. Ich nippe an meinem Drink, den ich zur Begrüßung bekommen hab’, und allmählich kommen wir ins Gespräch. So unnahbar wie ich glaubte, scheint Jane gar nicht zu sein.

Hilfsbereit bietet sie mir an, mir meine Tickets für die Flüge zu ordern, was mir die Sache auf den Philippinen natürlich ungemein erleichtern würde. Dankend nehm’ ich an. Das Telefon steht jetzt nicht mehr still. Ich komm’ mir richtig blöd vor dabei. Zwischen den vielen Telefongesprächen hat Jane kaum ein Wort für mich übrig. Gastfreundschaft auf philippinisch? Ich bin schon leicht irritiert. Mehr Aufmerksamkeit als Jane schenken mir da eher ihre Mitbewohner. Um meine Beine streichen zwei kleine Mischlingshunde. Ein gesichtsmäßig Eingedatschter und ein kleiner, vom Verhalten her ausgesprochen verspielter Kerl mit einem extrem weichen Fell.

Eine Telefonier-Pause nutz’ ich, Jane meine Geschenke zu überreichen: Von Deutschland aus hab’ ich einen in Englisch verfassten Bildband mitgebracht mit Bildern von den Alpen, vom Rhein, vom Schwarzwald und vom Ruhrgebiet. Janes Freude darüber hält sich sehr in Grenzen. Ich hab’ wohl zu viel erwartet: ‘n Lächeln oder ein Danke oder irgendwas. Stattdessen telefoniert Jane mal wieder. Dass ich da bin, scheint sie überhaupt nicht bemerkt zu haben. Jedenfalls fühl’ ich mich recht überflüssig.

Dann kommt das Essen, doch der Gast isst alleine. Jane telefoniert. – Das Essen selbst besteht aus einem Fleischfetzengemansche und anderen, nicht zu definierenden Obst oder Gemüsestückchen (möglicherweise Mango). Dazu gibt es Enteneier, Reis und Orangen. Ich halt mich vornehm zurück, obwohl der Magen knurrt. Doch was so eklig aussieht, erweist sich als äußerst schmackhaft, was wieder mal bestätigt: „Nicht jedes Gericht, das unappetitlich aussieht, muss zwangsläufig schlecht schmecken.“ Zum Essen gibt’s eisgekühltes Wasser, aber Durchfall gleich am ersten Tag, das muss ja nicht sein.

Am Spätnachmittag dann überreicht mir Jane sehr zu meiner Überraschung einen fix und fertige Übersicht über alle geplanten innerphilippinischen Flüge.

Die ersten Flüge hat sie bereits reconfirmed, d.h. bestätigen lassen. Das also war der Grund für ihre ewige Telefoniererei. Ich bedank’ mich freundlich und schäm’ mich, dass ich sie falsch eingeschätzt habe. Nachdem mir Jane eine Vorschlag für meine innerphilippinischen Flugverbindungen gemacht hat, lädt sie mich ein, mir den Chinesischen Friedhof zu zeigen, in dem auch ihre Vorfahren liegen.

Manilas Extreme


Zum Chinese Cemetery

Jane will heute ohnehin dort hin, um nach dem Rechten sehen. So komm ich also in den Genuss, den vielbeschriebenen Ort aus erster Hand erklärt zu bekommen. Die Mausoleen und alles andere hier sind irre. Hier „leben“ Tote in einem Luxus, den man sich nicht vorstellen kann. Viele Häuser haben Klimaanlage, Kühlschrank, Fernseher und Aufzug. Auf der einen Seite ersticken die Menschen in Armut und Dreck, auf der anderen Seite „leben“ Tote in einem Luxus, den man sich nicht vorstellen kann. Die Häuser der Toten haben Klimaanlage, Kühlschrank, Fernseher und Aufzüge.

Erst viel, viel später werde ich erfahren, dass die Friedhofsanlage chinesisch ist und die Armut, die hier überall gegenwärtig ist, philippinisch.

Jane hat noch viel vor heute, sagt sie, und ich will mich auch ein bisschen allein auf die Socken machen. Wir verabschieden uns mit dem Versprechen, uns gegen Ende meiner Reise im Januar noch mal wieder zu treffen.

Zum Forbes Park

Nachdem ich nun bei den Toten war, möchte ich mich nun den Lebenden und dem Trubel zuwenden. Am Aurora Boulevard steig ich in den nächstbesten Jeepney und fahr einfach Richtung Süden. Nach einer dreiviertel Stunde ist mir Enge und das Geschüttel aber zu viel. Ich steig aus und bin in der der McKinley Road am Rande von Forbes Park. Forbes Park, das „Beverly Hills von Manila“, ist eine von der McKinley Road in Nord und Süd geteilte, bewachte, private Wohnanlage im Süden Manilas. Wer hier lebt, muss „Asche ohne Ende“ haben.

Rein nach Forbes Park kann man nur nach vorheriger Ausweiskontrolle. Kein Wunder. Denn was mich hier erwartet, haut’ mich um: Luxus, Luxus, Luxus.

Der Begriff „reich“ hat hier eine Dimension, wie ich sie mir noch nicht mal träumen konnte: Luxusvillen von unbeschreiblicher Eleganz, umrahmt von gepflegten Gärten, wie sie eigentlich nur noch in Parks wie Versailles vorkommen. Aber das hier sind Privathäuser.

Mit Scheren wird hier der Rasen gestutzt. Auf den Philippinen ist Personal billig. In den Auffahrten der Prachtbauten parken die neuesten Modelle von Mercedes, BMW, Porsche und Jaguar, obwohl diese aufgrund der extremen Zölle hier mindestens viermal so teuer sind wie im Herstellerland. Da ist es dann wirklich kein Wunder, wenn die Millionärsdörfer von einer eigenen, schwerbewaffneten Armee bewacht werden müssen rund um die Uhr. Wenn einer reich ist auf den Philippinen, dann sprengt er auch alle europäischen Dimensionen.

Der Unterschied zum Slumviertel Tondo ist so riesig, dass man sich hüten muss – auch nur ansatzweise – zu vergleichen.

17:00 Uhr. In einer halben Stunde wird die Sonne untergehen, deshalb fahr ich zurück Richtung Hotel. Da das Hotel gar nicht so weit weg ist, von der Manila Bay, möcht’ ich doch mal sehen, ob der Sonnenuntergang dort tatsächlich so traumhaft schön ist, wie er in den Prospekten immer beschrieben wird. Links vor mir liegt die Bucht und gleich geht die Sonne unter.

Wie ein brennender Diskus taucht sie in die Wogen. Man hört es förmlich zischen. Ich muss zugeben, da haben die Prospekte nicht übertrieben. Eine leichte Brise spielt mit den Palmen. Der Himmel glüht. Zartrosa Quellwolken segeln. Das ist wirklich ein grandioses Schauspiel, weil kein – auch kein noch so kleines – Haus den Blick auf die offene See versperrt. Im Hintergrund kann man – mit etwas Fantasie – sogar vage Bataan sehen.

Kaum fünf Minuten hat das Schauspiel gedauert und schon ist es rappenzapppenduster ohne Übergang. Über uns gibt es nur noch ein funkelndes Sternenmeer am pechschwarzen Himmel.

Ich versuche meine Gedanken zu ordnen und lass’ den 3. Tag meines „Urlaubs“ Revue passieren. Bin ich wirklich schon drei Tage von zu Hause weg?

Im Garten des „Kanumayan“ lern’ ich dann ein Pärchen kennen. Eine Filipina und ihren Typen, einen Deutschen aus Hamburg. Bereits nach kurzem Small-Talk kommt die Sache auf den Punkt. Sie bitten mich, wenn ich im Januar zurückfliege nach Deutschland, ihnen ein Päckchen nach Frankfurt mitzunehmen und es von dort zu einer Adresse in Hamburg zu schicken. Doch Holzauge sei wachsam. Aus naheliegenden Gründen kann auf den Wunsch von Pia und Stefan – so nennen sie sich – nicht eingehen und hab’ mir deshalb gleich deren Unmut zugezogen, auch den vom Kanumayan-Besitzer, der „Gut-Freund“ zu sein scheint mit den beiden.

So mach’ ich halt die Fliege und geh’ rauf in mein Zimmer. Traumurlaub soll das sein – der Traumurlaub, auf den ich jahrelang gespart habe? Nein, so hab’ ich mir das alles nicht vorgestellt. Südseeparadies Philippinen – hab’ ich geträumt. Doch das philippinische macht mich fertig, die Jeepneys und die Straßenmärkte, in denen die Waren im Dreck liegen, der Gestank und die Kinder, deren Kleidung vom Dreck der Straße nicht zu unterscheiden ist, der übergeschnappte Totenkult im Chinese Cemetery, die Paläste im Forbes Park, dubiose Deutsche…

Das darf doch alles nicht wahr sein!

Ich freue mich schon auf morgen, wenn es hinaus geht aus diesem Mief, wenn es hinaus geht auf die Inseln. Mal sehen, was mich dort erwartet – in Puerto Princesa, der Hauptstadt von Palawan.


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Traum und Woche 1
2. Dez. -8. Dez. 1988
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