Samstag, 3. Dezember 1988
Flug ins Abenteuer
Der Flug von Zürich nach Singapur verläuft sehr ruhig. Ich weiß nicht, wie spät es ist, als ich wieder zu mir komme. Ich weiß auch nicht, wo wir sind. Jedenfalls ist’s draußen stockdunkel, hier drin aber haben sie bereits wieder das Licht angemacht, und wir werden mit dem Frühstück überrascht.
Es gibt:
- Fruchtsaft
- Steak mit Ananas, Schinken und Pilzen
- Bratkartoffeln
- Omelett mit Gemüse
- Croissants
- Tee und Kaffee
Das Frühstück genießend, düse ich Meile um Meile dem Land der 7000 Inseln entgegen. Ein kleiner Schritt für die Menschheit…
Ein voller Tag ist inzwischen vergangen – oder mein“ ich das nur wegen der Zeitverschiebung? Jedenfalls ist es jetzt 14:45 Uhr Ortszeit. Flug SQ 84 befindet sich im Landeanflug auf Singapore. Die Wolkendecke ist dicht geschlossen. Vom Land, geschweige denn vom Flughafen ist nichts, aber auch gar nichts zu sehen. Doch Sekunden später schon durchstoßen wir die Wolken, und ganz vage kann man da unten einen langen nassen Streifen sehen, der vermutlich die Landebahn darstellt. Es gießt in Strömen. „Eine Stunde Verspätung“, sagt der Kapitän, als er die Maschine butterweich aufsetzt und uns im Regen Singapurs herzlich willkommen heißt.
Hektik in Singapur
Ich kann das Willkommen überhaupt nicht genießen, da ich sofort zum Anschlussflug nach Manila hetzen muss. Mit Riesenschritten renn’ ich zur PAL, der philippinischen Fluggesellschaft, bei der ich den Flug nach Manila gebucht hab’. Eine Stunde Verspätung. Ich nehme kaum an, dass die Anschlussmaschine nach Manila warten wird. Trotzdem renn’ ich los. Wo mein Gepäck ist, weiß ich nicht. Als ich im Flughafengebäude ankomme, plärrt aus dem Lautsprecher auch schon die letzte Aufforderung zum Flug nach Manila. Ich stürz’ zum Check-In-Counter, kann aber in der Aufregung mein Ticket nicht mehr finden. Es ist zum verrückt werden. Nur noch drei Minuten bis zum Abflug. Ich werd’ ganz kribbelig. Wo kann das blöde Ticket bloß sein? Dann endlich, nach langem Suchen hab’ ich’s gefunden: in der Ärmeltasche. Stempel, Boarding Pass, Zollkontrolle. Geschafft. Jetzt aber! Ich renn’ durch die Gänge zum Flieger. Es ist schwül und heiß in Singapur, und ich bin jetzt schon fix und alle. Bis ich dann endlich in meinen Sitz fallen kann, bin ich vollends total ausgelaugt.
Die Uhr zeigt 17:10. Gestern um 11:00 Uhr bin ich in Geradstetten abgefahren und seit 7:00 Uhr gestern bin ich auf dem Beinen. 25 Stunden (oder sind es gar schon 30? Man kommt mit der Zeitverschiebung völlig durcheinander) hab’ ich nun schon kein Bett mehr von innen gesehen. Hier in Singapur ist’s heiß, wie ich’s noch nie erlebt hab’. Die Schweißtropfen brennen in den Augen, und die Hose klebt an den Pobacken. Alle Anzeichen sagen mir unmissverständlich: Das große Abenteuer hat begonnen.
Trotz Hektik, Hitze und Stress kreisen meine ersten klaren Gedanken in Asien um Bärbel. Was wird sie jetzt wohl grad machen? Samstag ist’s in Deutschland. Samstagmorgen, eine Minute nach dreiviertel zehn. Wahrscheinlich ist sie jetzt beim „Kirchbäck“ oder aber sie ist beim „Plus“, irgendwas kaufen fürs Wochenende. Ganz fest denk’ ich an sie, und völlig unbeeindruckt davon startet der Airbus A320 seine Triebwerke und hebt ab. Nur noch wenige Stunden bis ich dann auf den Philippinen bin.
Leider hab ich einen Platz genau in der Mitte des Flugzeugs, so dass ich von der See und den Inseln nichts sehen kann. Aber wenigstens hab ich eine sehr nette Reisebegleiterin, eine Philippina, mit der ich mich sehr gut unterhalten kann. Die Zeit vergeht – klingt schon etwas komisch – wie im Flug. Kaum haben wir unseren Tee getrunken und über meine bevorstehende Reise geredet, kündigt das „Fasten Seatbelts“-Signal auch schon die bevorstehende Landung in Manila an. Doch von Abenteuerfreude keine Spur. Ich bin nur hundemüde und sonst nichts.
Ankunft in Manila
Wir sind am Flughafen in Manila angekommen. Zoll- und Einreiseformalitäten sind problemlos und schnell erledigt. Jetzt hock’ ich mich erst mal hin, wart’ ab und verschnauf’.
Kann sein, dass es jetzt „ne halbe Stunde her ist, seit ich gelandet bin. Es war alles etwas viel. Die Pause hier und das Durchatmen haben mir gut getan. Ich bin jetzt wieder soweit fit und bereit weiterzugehen. Als erstes tausch’ ich jetzt erst mal zwei Travellerschecks.
Vom Schalter des Ministry of Tourism aus ruf’ ich im Kanumayan Tourist Inn an. Die Unterkunft hab’ ich in Jens Peters Reise-Handbuch gefunden. Es wird als sauberes Mittelklassehotel angeboten, und genau diese „Mitte“ scheint mir für den Anfang besonders geeignet. So mach’ ich den Deal perfekt und buche das Zimmer für meine erste asiatische Nacht. Nicht ganz billig 1), aber da man es auch in Deutschland kennt und es gute Bewertungen hat, dacht’ ich, es sei das beste zum Akklimatisieren und für einen sorgenfreien Start in mein Abenteuer.
Durch Bücher eindringlich vor diesen Schleppern gewarnt, mach’ ich die ganze Sache doch lieber selber, und siehe da, es geht auch so. Links vom Flughafengebäude, etwas die Auffahrt runter, stehen die endlosen Schlangen der regulären Taxis: Da sind die schwarz lackierten „Golden Cabs“, die gelben, die unterschiedlichen Privatfirmen gehören, und blaue, die ich von den Beschreibungen her nicht kenne.
Gut gelaunt – ich hab’ ja nun ein Bett für die Nacht – stürz’ ich mich ins Getümmel. Draußen warten etliche Schlepper, die nach meinem Gepäck grabschen und mich in ein Taxi zerren wollen. Besonders aufdringlich sind die „touts“ für die Privatfahrzeuge (illegale Fahrer?), die mir einen „Extra-Lift“ anbieten. Auf diese Weise wollte mir einer dieser auch „hustlers“ genannten Typen 42 US-$ für die Fahrt in die Stadt abnehmen. Da gibt’s nur eins: Zettel nehmen, Autonummer aufschreiben und mit ‘ner Anzeige zu drohen. Die Pinoys – und das merkt man schon am ersten Tag – haben eine Schweineangst vor der Polizei und die Taxifahrer davor, ihre Lizenz zu verlieren. Doch Vorsicht, der Schuss kann auch nach hinten losgehen: In Manila kann sich schnell mal ein Messer in die Rippen verirren.
Da Jens Peters in seinem Philippinen-Buch die schwarzen Taxis so hervorhebt, will ich’s als absoluter Philippinen-Laie eben mal mit denen probieren. Ich such’ mir einen Kübel aus, in dem der Fahrer recht uninteressiert wirkt. Ich unterlieg’ der irrigen Meinung, er hätte es nicht so unbedingt nötig und würde mich daher auch nicht so bedrängen. Als ich auf den Wagen zugehe, hält mir der Fahrer höflich die Tür auf und beginnt den Handel.
Für die neun Kilometer Fahrt zum Hotel will er 150 ₱ haben, das sind 13,60 DM! Ich weiß aber, dass die Fahrt nicht mehr wert ist als 30-40 ₱ und beginne zu handeln. Mein Verhandlungsgeschick scheint den Typen aber in keinster Weise zu überzeugen. Dass ich nicht zum ersten Mal da bin in Manila und dass ich die Preise kenne, beeindruckt ihn auch nicht. Da werd’ ich wohl noch ‘ne ganze Menge lernen müssen hier, vor allem, wie man besser argumentiert und vielleicht geduldiger bleibt. Das aber heute Abend zu schaffen, dazu fehlt mir einfach die Kraft.
Am Hafen entlang geht’s in nördlicher Richtung. Fünf Kilometer sind wir schon vorangekommen, zeigt das Taxameter. Dafür haben wir schon fast 30 Minuten gebraucht. So katastrophal ist der Verkehr in Manila! Jetzt nur noch irgendwo rechts ab und dann sind wir auch schon in der Leon Guinto-Street und beim „Kanumayan“. Hier check ich ein für die Nacht.
Die erste Nacht in Manila
21:30 Uhr. Endlich da! Ich bring den Rucksack hoch ins Zimmer. Okay, es ist nicht sehr üppig und nach unseren Verhältnissen auch nicht übermäßig sauber. Aber was will ich? wir sind hier nicht in Welzheim oder Geradstetten. Das hab’ ich doch gewollt: Abenteuer!
Ich schmeiß meinen Rucksack aufs Bett, zieh meine Trekking Jacke aus und geh’ wieder runter, mal sehen, wo’s mich hin verschlagen hat. Na ja, beste Wohngegend scheint das hier nicht zu sein. Auffällig sind die hohen Bordsteine und die Löcher im Gehweg, wo man in die Kanalisation sehen kann. Über mir hängen die Stromleitungen kreuz und quer in der Gegend rum. Da wohn’ ich also. Dann geh’ ich wieder rein. Ich muss mich hinhocken, ein Bier trinken, eine Ansichtskarte kaufen (kostet im Hotel 5 ₱) und Bärbel schreiben, dass ich gut angekommen bin.
Meine Hand pendelt unaufhörlich zwischen Bierglas und Kugelschreiber hin und her. Eine gewisse Nervosität lässt sich nicht leugnen. Die anderen Gäste um mich herum wirken alle irgendwie feiner – zumindest auf den ersten Blick. Doch bei genauerem Hinsehen wird schnell klar, dass einige wohl nur wegen der Mädchen hier sind.
Das Bier verdampft noch vor Erreichen des Magens, die Zeilen auf der Postkarte werden nicht mehr. Ich schieb’ ein zweites Bier hinterher (ein Bier kostet 12 ₱, also rund 1 DM). Vom zweiten schmeckt man wenigstens was und ich kann’s genießen. Auf die Karte fließt jetzt ein rechter Schmus.
1)
Das „Kanumayan Tourist Inn“ soll, wie sich später noch zeigen wird, mit 448 ₱ (37,50 DM) pro Nacht das mit Abstand teuerste Quartier werden auf meiner ganzen Reise.
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