Dienstag, 20. Dezember 1988
Auf nach Negros
Heute geht’s dann auch schon weiter nach Negros. Da das Schiff der Negros Navigation Co nach Bacolod schon um 7:00 Uhr abfährt und man mir gesagt hat, dass ich rechtzeitig da sein soll, bin ich bereits um 5:00 Uhr aufgestanden und hab’ mich auf den Weg gemacht. Mit Frühstück ist’s um diese Zeit natürlich noch nichts. Der Magen knurrt.
Gegen 6:20 Uhr erreiche ich schließlich das Kai und finde mich in einer Schlange Hunderter Wartender wieder. Bettler säumen unseren Weg. Man weiß nicht recht, wie man sich verhalten soll. Sie alle wünschen dir „Merry Christmas“ und halten dir die ausgestreckte Hand entgegen. Die Philippinos sind schon tagelang auf „Merry-Christmas-Trip“, obwohl heute erst der 20. ist.
Bis man endlich am Schalter ist, steht man ewig in einer Reihe an und so kommt man auch miteinander ins Gespräch. Ich frage die Frau vor mir, ob sie weiß, wo man hier wohl einen Kaffee herbekommen könne. Sie meint, sie hätte welchen dabei und ob ich wolle. Und wie ich will! Sie nimmt eine Thermoskanne aus einem Stoffbeutel, gießt mir einen Schluck in den Deckel und wünscht „Merry Christmas“. Das ist für mich jetzt ein Gefühl wirklich „wie Weihnachten“ – und ich bin vorher an den Bettlern vorbeigegangen. Ich schäm mich jetzt richtig. Endlich bin auch ich am Schalter angekommen. Ich bekomm’ einen winzigen, etwa streichholzschachtelgroßen „Passanger Coupon“ mit der Nr. 768765, dem Aufdruck First Class Taqualla Iloilo-Bacolod und dem Preis, den dir in Deutschland niemand glaubt, 40 ₱ (3,40 DM).
Mit dem Schiff nach Bacolod
Im Gegensatz zu all den anderen Booten bisher ist das Schiff heute ein riesiger Dampfer. Pünktlich um 7:00 Uhr legt das Schiff ab und zwängt sich um die „Nase“ herum durch den an dieser Stelle nur etwa 200 Meter breiten Iloilo-River, erst nach Norden, dann nach Süden und nach etwa 10 Minuten erreichen wir die zwischen Panay und Guimaras Island liegende Iloilo Strait. Die ist hier rund zwei Kilometer breit. Irgendwie beruhigend, wenn man noch Land sieht.
Gegen dreiviertel acht umrunden wir die Nordküste von Guimaras und erreichen nun die Guimaras-Straße, die mit ihren 30 Kilometer breite schon wie richtig offenes Meer aussieht. In knapp 1½ Stunden sollten wir in Negros sein, der Zuckerinsel der Philippinen. Dreiviertel der philippinischen Zuckerproduktion kommen von dort. Mich interessieren aber weniger die Zuckerrohrfelder, sondern vielmehr die „Iron Dinosaurs“, die über 60 Jahre alten Dampflokomotiven , die – neben Dieselloks – bei der Ma-ao Sugar Central in der Nähe von Bago City und bei Victorias Milling Company in Victorias noch immer im Einsatz tun sollen.
Bacolod
Pünktlich erreichen wir um 9:30 Uhr Banago Wharf, den Hafen Bacolods. Für die sieben Kilometer nach Bacolod nehm ich (immerhin habe ich den schweren Rucksack dabei) ein Tricycle. Zwanzig Minuten später steig ich in der Innenstadt wieder aus. Ein Fresstempel am andern: „Jumbo’s Food“, „Tita’s Food“, „Coney Island Icecream“, „Sulamban Restaurant“ und, und ,und…
Jetzt hätt ich vor lauter Gucken fast das Tourist Office am City Placa übersehen. Dort geh ich erst mal rein, mir ein paar Prospekte holen und fragen, wo man hier günstig übernachten kann. Das „Halali Inn“ sei genau das Richtige für Backpacker. Viele stiegen dort ab. Als sie nach einem Anruf bestätigt, dass noch was frei ist, ist die Sache für mich gebongt. Ganz nebenbei erfahr ich dann auch, wo man Postkatten kaufen kann und wo eine Post ist zum Postgarten abgeben. Das hat aber bis morgen Zeit.
An einem Kiosk ess’ ich kurz was, dann geh ich das Halali Inn suchen. Nach einer Viertelstunde bin ich da. Das Zimmer kostet 90 ₱, nicht gerade billig, aber ich habe eine eigene Dusche. Auch wenn die Zeit drängt, das muss jetzt einfach sein. Frisch geduscht schließ ich meinen Rucksack in den Schrank, nehm’ die Top Shot (für die Canon AL-1 habe ich noch immer keine Batterien) und geh’ nach unten. Dort sagt man mir, dass die Jeepneys nach Ma-ao in der Gatuslao Street abfahren sollen. Triff sich gut, denn das ist genau die Straße, die am Public Placa vorbeigeht, dort. wo auch das Tourist Office ist.
Ma-ao Sugar Central
Das Jeepney-Terminal ist schnell gefunden.
Ich frage den Fahrer des „Musante-Jeepneys“, ob er mich nach Ma-ao bringen könnte. Er kann, aber dafür will er 25 ₱. Ganz schön happig, aber mir bleibt keine Wahl.
Gegen halb zwölf hält der Fahrer dann an einer Weggabelung mitten in der Landschaft an, zeigt auf einen Weg, der nach links hinten abgeht und sagt: „Ma-ao, Sugar Central“. „Hä? Da ist aber kein Sugar Central.“ „Sure! Just go that way. May be, a quarter of an hour, then right.“ Außerdem faselt er etwas von einem „Vulcano“. Ein „Vulcano“ aber interessiert mich nicht. Außer mir steigt niemand aus und so gehe ich eben den Weg lang ins Ungewisse.
Nach etwa zehn Minuten kommen tatsächlich die ersten Hütten. Fünf Minuten später sind’s dann schon wesentlich mehr, doch von Sugar Central keine Spur. Rechts, kurz vor eine Querstraße, ist eine Hütte, auf deren Dach ein riesiges Coca-Cola Schild „Coke me“ ruft, geh ich einfach mal rein. Das scheint eine Art „Cantina“ zu sein. An einem Tisch hocken ein paar Männer und essen und diskutieren. Von dem, was sie sagen, verstehe ich kein Wort. Das ist kein Englisch und auch kein Spanisch. Ganz offensichtlich bin ich hier „ganz ab vom Schuss“. Über ‘ne viertel Stunde hock ich jetzt da, das scheint aber niemanden zu interessieren. Ich hab Durst, ich hab Hunger! Schließlich hab ich ja noch nicht richtig gegessen. Aber was tun, wenn man die Menschen hier nicht versteht und die Menschen dich nicht verstehen. Etwas abseits, das ist offenbar die Küche, hantiert eine ältere Frau mit Kesseln und Töpfen. Wir sprechen kein Wort (hätt ja auch nichts genützt!) Ich heb von einem Topf den Deckel ab, da ist Reis drin. Dann zeigt ich mit dem Finger drauf und dann steck ich den gleichen Finger in meinen Mund und lutsch dran. Die Frau scheint zu verstehen, nimmt einen Plastikteller, tut etwas Reis drauf und dazu noch zwei kleine Stückchen (solche kleinen Stücke kenn ich nur aus Gulasch) Fleisch. Dann plötzlich kann sie sprechen, allerdings auch nur zwei Worte. Ich verstehe irgendwas wie „Pisa ₱“. Das wird wohl der Preis sein. Da ich kaum annehme, dass das Essen nicht mehr als 10 ₱ kostet, halte ich ihr einen Zehner hin. Das scheint zu klappen. Sie nimmt den Schein und gibt mir 2 ₱ raus. Ein Frühstück für 75 Pfennig! Nachdem ich gegessen habe, nehme ich allen Mut zusammen und geh’ ich zu den Mannen an den andern Tisch rüber. „Sugar Central“ sag ich immer wieder, „Sugar Central“. Und siehe da, ich bin praktisch schon da! Einer der Männer geht mit mir auf die Straße raus, 100 Meter bis zu einem Abzweig und zeigt, da rechts runter sei Sugar Central.
Da steh ich also vor dem Tor der „Sugar Central“. Doch alles ist abgesperrt. Die Firma wirkt auf mich eher wie eine Kulisse der Vergangenheit. Produziert wird da mit Sicherheit nicht mehr. Als ich durch den Zaun spähe, begegnet mir ein offensichtlichen Sicherheitsmann, der dort seine Runde dreht. Ich erkläre ihm, dass ich aus Deutschland und mir gerne die Lokomotiven ansehen würde.
„Sorry Sir, I come from Germany to see this historic steam ocomtives. It would be really important for me. I have big interest in lokomotives and also the history of Sugar Central- The only thing I want to do, is to take some.“ Aber er mag nicht so richtig. „Please Sir, can you talk to a responsible person. Maybe, he can give me a permission to go in?“ „Wait here, please!“, sagt er und geht weg. Das hört sich doch schon mal gut an.
Der Mann hat sich tatsächlich bei seinem Chef erkundigt, ob er mich durchs Gelände begleiten darf. Er darf und mir ist es erlaubt zu fotografieren.
Rolando Garcia, so heißt der Mann vom Sicherheitsdienst, erklärte mir, dass die Fabrik vor etwa 70 Jahren gegründet wurde. Auf einer Fläche von 56 Hektar wurde hier Zucker produziert. Sugar Central gehörte lange Zeit zu den führenden Betrieben auf der Insel. Es ist kaum vorstellbar, wie geschäftig es hier früher gewesen sein muss. Doch das ist Vergangenheit.
Inzwischen hat sich die Natur alles zurückerobert, Pflanzen und Bäume brechen durch Risse im Beton und ranken sich um alte Maschinen. Die Gebäude wurden nach amerikanischem Vorbild errichtet, sagt er. Das ist mir aber egal, denn mich interessieren vor allem die alten Dampfloks und Bahnanlagen. Doch auch hier hat die Natur ganze Arbeit geleistet. Die Gleise wirken, als ob seit Jahren kein Zug mehr darüber gefahren ist. Sie sind verrostet, überwuchert und oft unterbrochen, verbogen oder durch Wurzeln angehoben. Da geht nichts mehr.
Zurück nach Bacolod
Zu Fuß geht’s wieder zurück zur Hauptstraße. Ich muss nicht lange warten bis das Jeepney kommt.
Es ist das gleiche wie das, das mich heute früh hierher gefahren hat. Jetzt aber komplett leer. Ich will – wie es sich gehört – in den Barrio, also den Hinteren Fahrgastraum einsteigen, aber Der Fahrer erkennt mich wieder, begrüßt mich freundlich und will, dass ich vorne sitze.
Hier vorne ist alles vollgepflastert mit Heiligen-Bildchen, blöden Sprüchen wie „God is my Co-Pilot“ oder „Sex-Trainer“ aber auch mit Aufklebern aus aller Herren Länder: New York, Moscow, Sydney, Amsterdam u.v.a.m. Mensch, da passt doch super Lothars Bepper dazu! Ich hab noch welche in meiner Jackentasche.
Der Fahrer strahlt übers ganze Gesicht und klebt den Sticker sogleich an seine Windschutzscheibe. Danach hat er kaum noch Augen für die Straße und erklärt: „She’s my new Love“.
Weihnachtsatmosphäre am Abend
Als wir in Bacolod ankommen, ist die Sonne gerade so am Untergehen. Am Libertad Jeep Terminal in der Araneta Avenue steige ich aus, weil ich mir die Beine vertreten will,
und geh erst mal zurück zur San Sebastian Street und dort nach 400 m links in die Rosario Street.
wo Rufe wie „Hey friend, one shot“ entgegenhallen. Wie anders „Hey friend“ doch klingt als „Hey Joe“. Jeder und alle wollen hier fotografiert werden. Ich tu ihnen einfach den Gefallen, obwohl ich gestellte Bilder eigentlich nicht mag. Und was haben sie davon, wenn sie die Bilder nie sehen werden?
Nach 650 Metern ist dann links in die Adelfa Street. Nach 250 m rechts in die Malalosan Street und dann nach 50 m bin ich im „Ang Sinugba“. Bis hierhin sind es etwa 1,5 km und knapp ne halbe Stunde.
Die Karte ist dort sehr reichhaltig und ich bestell mir an der mittleren Preisklasse orientiert „Adobo“, ohne zu wissen, was das wirklich ist. Dann wird das Essen auch schon aufgetragen, stilvoll auf einen Bananen-Blatt. Auf dem Reis als Basis liegen – ich schätze mal – mariniertes Hühnchen- und Schweinefleisch. Was mir auf den Philippinen aber gar nicht gefällt, ist, dass die bei Geflügel immer „totgefahrenes Huhn“ mitsamt den Knochen drin verwenden. Abgesehen von diesem Mangel ist das Essen aber einfach nur Wahnsinn.
Morgen Abend soll hier Live-Musik im Stil der 60er du 70er Jahre sein. Mann, genau das Richtige für mich! Noch besser ist, dass es vom „Ang Sinugba“ zum Halali Inn gerade mal fünf Minuten sind – zu Fuß!
Expo Bacolod
Nach dem Essen gehe ich weiter die Mabini Street hoch und dann auf der Gonzaga Street bis zum Bacolod City Placa an, mords was los ist. Erst dacht ich ja eine Demonstration oder so was, aber dann war’s doch nur ein Fest, wo die kulturellen, wirtschaftlichen und landwirtschaftlichen Errungenschaften von Negros Occidental gefeiert werden. Es sind Produkte ausgestellt wie Zucker, Kunsthandwerk und Kunst. Das Ganze soll den Gemeinschaftsgeist stärken und den Tourismus, der nach der Zuckerindustrie-Krise der 80er Jahre eingebrochen ist, wieder ankurbeln. Scheint zu klappen: Ich bin da!
Ich kämpf“ mich nach vorne. Da seh’ ich’s. Momentan läuft ein Kindergruppen-Weihnachtswettbewerb. Die kleinen kostümierten Püppchen, vielleicht zwei, drei Jahre alt, sind echt süß anzusehen. Da vergisst man dann schnell das Elend, das ich in Manila gesehen habe.
Natürlich sieht man auf dem Platz auch „normale“ Straßenkinder, barfuß, in einfachen T-Shirts und löchrigen kurzen Hosen. Doch ihre Augen strahlen. Weihnachten ist nahe. Gegen 21:00 Uhr gehe ich schließlich „nach Hause“.
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